„Das Gedenken fängt nach dem 8. Mai erst an“

■ Gerhild Frasch, 43, Generalsekretärin der Evangelischen Frauenarbeit, ist eine von „50 Frauen unter 50“, die mit einer Initiative eine eigene Form des Gedenkens finden wollen

taz: Frau Frasch, gibt es nicht genügend Initiativen, die in diesem Jahr an das Kriegsende erinnern? Warum nun noch eine von „50 Frauen unter 50“?

Gerhild Frasch: Begonnen haben wir schon im Herbst letzten Jahres. Unser Anliegen ist es nicht, noch eine Erklärung zum 8. Mai abzugeben. Wir machen auch keine öffentliche Veranstaltung. Uns geht es darum, daß eine Stimme laut wird, die ansonsten nicht zur Sprache kommt. Wenn man sich die Sonderausgabe des Spiegel zu Deutschland nach 45 anschaut, dann kommen Frauen darin nur als Trümmerfrauen vor. Frauen gehen in den ganzen offiziellen Gedenkfeiern unter. Und es bleibt unbenannt, was Frauen in der Zeit geleistet haben. All die psychische Schattenarbeit, dieses Auffangen, Aushalten, Hungern, Flucht und Aufbau. Uns geht es in erster Linie darum, darüber zu sprechen. Unsere Initiative hat in Kirchenkreisen bewirkt, daß ältere Frauen anfangen, über ihre Erfahrungen zu reden. Sie beginnen, über Dinge zu sprechen, die sie bisher tabuisiert haben, seien es Vergewaltigungen, sei es die eigene Mittäterschaft. Dieses „Ich habe nichts gewußt“ wird da brüchig. Plötzlich können es einige nicht mehr leugnen, daß sie sehr wohl etwas gewußt haben.

Erinnern sich Frauen anders?

Ich denke schon. Allein dadurch, daß wir nicht nur der Helden gedenken, sondern differenziert alle Seiten beleuchten wollen, ohne dabei in die Gleichmacherei zu verfallen, wie es diese unsägliche Erklärung von Dregger, Zitelmann und Co. suggeriert. Es sind nicht alle Opfer gleich. Natürlich macht es einen Unterschied, ob ich Tochter eines Täters oder Tochter eines Opfers bin.

Was bedeutet Erinnern für Sie?

Es geht mir ums Innehalten, darum, sich an viele einzelne, kleine Geschichten zu erinnern. Meine Mutter war keine Täterin, sie wollte nie beim BDM mitmachen, ist da abgehauen. Dennoch gibt es bestimmte feine Botschaften, die trotz allem durchsickern. Da fällt schon mal der Satz: „Damals waren die Straßen sicherer.“ Mir wurde immer eine ganz klar antimilitärische Haltung vermittelt. Bei uns hieß es immer: scheiß Krieg. Aber dennoch kommen so bestimmte Vorbehalte zum Vorschein. Und dahinter stecken sicherlich bestimmte autoritäre Denkmuster.

Erinnern und Gedenken haben nun gerade in diesem Jahr Inflation. Endet das mit dem Jahr 1995?

Wir wollen mit unserer Initiative gerade dazu anregen, weiter zu diskutieren, und zwar speziell unter dem Frauenaspekt. Das heißt, die Initiative hört nicht pünktlich zum 8. Mai auf, sie fängt damit erst an. Interview: Karin Flothmann