Musik aus der Müllhaldenwelt

■ Der Komponist Detlev Glanert stellte sich dem Bremer Publikum vor/ Uraufführung: „Wasserspiele“ nach Texten von Thornton Wilder im „Concordia“

Zum dritten Mal in dieser Spielzeit hebt sich im Theater am Goetheplatz der Vorhang für zeitgenössisches Musiktheater. Nach Adriana Hölszkys „Bremer Freiheit“ und Alfred Schnittkes „Leben mit einem Idioten“ diesesmal sogar für eine Uraufführung: Am 16. Mai werden im Concordia Detlev Glanerts „Drei Wasserspiele“ uraufgeführt. Der 1960 geborene Komponist stellte sich am Wochenende in einer Veranstaltung der „Bremer Theaterfreunde“ vor. Der Geiger Heinrich Hörlein, der Bratscher Christian Stahnke, der Cellist Johannes Mirow und besonders der exzellente Pianist Martin Zehn spielten zur Einstimmung Kammermusikwerke von Detlev Glanert. Befragt vom Hamburger Musikwissenschaftler Klaus Angermann, gab der Komponist bereitwillig und eloquent Auskunft über seine Einschätzung der derzeitigen Musiktheaterszene und seine Ansicht über heutige Ästhetik.

„Es hat mal jemand behauptet, die Musik ließe sich unterscheiden in Kopf-, Herz- und Bauchmusik. Darf ich Anspruch nehmen, alle drei zu wollen?“ – in der Tat ein großer Anspruch, den der Schüler von Hans Werner Henze mit seinen Vorbildern Gustav Mahler und Maurice Ravel, aber auch Bernd Alois Zimmermann realisiert. An Gustav Mahler schätzt der Komponist den Realismus in der dramaturgischen Anlage und an Maurice Ravel die „Artistik, die Verkleidung, die Maske, das Parfüm“: „Das liebe ich sehr“.

Glanerts hochvirtuose, expressive Werke reihen sich heute in den unüberschaubaren Pluralismus der neunziger Jahre ein. Er ist nicht der Meinung, daß nur eine bestimmte Richtung die Moderne vertreten könnte: „Alles ist da und alles ist richtig.“

Und in diesem Sinne ist Glanert auch der Meinung, daß das Denken und die Positionen der Avantgarde keineswegs gescheitert sind. Daß Musik etwas verändern kann, glaubt er nicht: „Rudolf Hess war Beethoven-Fan, sogar Kenner!“ Man könne nur – und so ist das Schreiben von Musik für ihn so eine Art moralischer Auftrag – aufrufen, die Ohren aufzumachen und damit zu sensibilisieren.

Dazu brauche es allerdings auch Aufträge der Institutionen an KomponistInnen, was in der Regel ohne Sonderförderungen nicht stattfindet. „Das ganze Geld wird leider für historische Musik ausgegeben.“

Viele Traditionen sind in Glanerts geradezu wuchernder Musik mit orchestralen Wirkungen präsent, weswegen man unbedingt vermeiden müsse, „daß es wie Tschaikowsky klingt“. KomponistInnen müßten sich heute auch mit dem ständig präsenten Klangteppich auseinandersetzen, der uns alltäglich aus Autoradios und Kaufhauslautsprechern berieselt: „Die tonalen Beschallungsquoten schreien geradezu danach, daß wir uns mit ihnen beschäftigen.“ So kommt er auf einen Stil der Musik „in Anführungszeichen“ (Klaus Angermann).

Besonders gelungen scheint diese Art von Brechung im Schlußstück der „Vier Fantasien für Klavier“, mit dem Titel „Abendland“, dessen romantisierende Zitate wie mit maschinenartigen Rhythmen geradezu zerschlagen werden: „Das ganze Abendland wird von einer einzigen Maschine gefressen.“ Auch spricht er von der „Müllhaldenwelt“ seiner Stücke, die sämtlich traditionelle Gattungsbezeichnungen tragen und sich auf optische Eindrücke, Gesten und Landschaften beziehen.

In Thornton Wilders „Wasserspiele“ geht es um drei verschiedene Hoffnungen, um Tod, Krankheit, Gefährdung und Rettung. Wilders Texte dauern je drei Minuten. An der Kammeroper mit ihrer kleinen instrumentalen Besetzung, die selbstverständlich eine eigene Gattung ist, schätzt er die Möglichkeit, den Text wirklich verstehen zu können: „Das finde ich wunderbar, so viel Text transportieren zu können.“ Dirigentin der Uraufführung wird Catherine Rückwardt sein.

Ute Schalz-Laurenze