■ Nach dem Massaker an Tausenden Flüchtlingen in Kibeho: Offener Brief an den Präsidenten und den Premier Ruandas
: Ist das der Weg zur Versöhnung?

Ruanda macht immer noch von sich reden, nachdem es durch die unbeschreiblichen Massaker im April 1994 zu trauriger Berühmtheit gelangte. Bis jetzt haben viele Menschen noch immer nicht verstanden, daß ein in die Ecke gedrängtes diktatorisches Regime die Bevölkerung Ruandas in seine Agonie mit hineinriß. Es folgten die Massaker und der Völkermord. Sie selbst haben den Versuch unternommen, die wahren Ursachen dieses Dramas offenzulegen. Mit großer Hoffnung erwarteten wir den Regierungswechsel, doch auch nach dem Umbruch fielen weiterhin Ruander dem Militär zum Opfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Premierminister, Sie wie auch wir verdammen die Verantwortlichen des Völkermordes. Doch wir haben nicht gehört, daß Sie diejenigen verdammen, die nach der Flucht der von Ihnen bekämpften Regierung Zivilisten in Kibungo, Gitarama und Butare töteten. Im Januar 1995 sagte Minister Jacques Bihozagara den Flüchtlingen im Lager Kibeho, daß sie nicht mit einem Schutz durch die UNO vor der Armee zu rechnen bräuchten, wenn sie nicht in ihre Heimat zurückkehrten. Am 22. April 1995 wurde diese makabre Vorhersage Wirklichkeit: Militärs der Patriotischen Front (RPA) schossen auf die Flüchtlinge von Kibeho und verfolgten sie auf den Straßen. Bewaffnete Militärs schossen wehrlose Fliehende in den Rücken, und das nennen Sie Notwehr!

Diese schockierenden Tatsachen und die wenig überzeugenden Erklärungen erinnern an die Geschichte des Leon Mugesera, der in einer Versammlung am 22. November 1992 den Genozid an den Tutsi forderte. [Mugesera, Parteifunktionär des früheren ruandischen Regimes, rief damals in einer Rede zur Tötung der ruandischen Tutsi auf, woraufhin es zu Übergriffen kam; Anm. d. Red.] Versuche, diesen Hetzer zur Rechenschaft zu ziehen, scheiterten am Schutz seines Gönners, General Habyarimana. Ein wirksamer Schutz hat diesem Verbrecher sein vergoldetes Asyl in Kanada gebracht, wo er bis heute lebt. Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Premierminister, Sie verteidigen heute die Mörder von Kibeho mit demselben Eifer, wie es einst Habyarimana im Fall Mugesera tat. Wenn es sich um Notwehr handelte, wie Sie behaupten, warum werden nie Opfer auf seiten des Militärs genannt? Es muß doch eine Menge davon gegeben haben, um als Gegenschlag eine derartige Verwüstung zu rechtfertigen! Über 4.000 Flüchtlinge starben, und wie viele Militärs? Wenn diese Militärs nicht die von Minister Jacques Bihoragara verkündete Mission erfüllten, warum schossen sie dann auf die Fliehenden? Um Habyarimanas Killer aufzuheizen, war sein Tod nötig. Welche Verluste hat die RPA erlitten, um sie dazu zu bringen, Kinder zu töten? Die Überlebenden von Kibeho halten durch, so gut sie können, ohne daß sie wissen, wohin sie gehen. Ihre verstörten Blicke, ihre Erniedrigung und ihre Hoffnungslosigkeit erinnern mich an Bilder von Juden auf ihrem Marsch in die Krematorien. Im Grunde ihres Wesens ähneln sich alle Menschen in ihrer Todesangst, wenn der mörderische Wahnsinn sich ihrer bemächtigt. Sind nicht die Opfer der Vergangenheit die Henker von heute geworden?

Was haben Sie vor, wie wollen Sie den Hutu, die unter Hohnrufen durch Butare ziehen, gedemütigt und unterworfen, ihre Würde zurückgeben, so daß sie sich eines Tages den neuen Siegern ebenbürtig fühlen können? Sie haben die Entwicklung der Situation der moderat eingestellten Hutu seit Beginn des Völkermordes verfolgt. Für ihre Unterstützung der Ideen des Wandels, welche Sie seinerzeit verkörperten, wurden sie damals von den Milizionären des Juvenal Habyarimana massakriert. Heute werden die Überlebenden von genau denjenigen massakriert, die sie damals unter Einsatz ihres Lebens unterstützten. Was wollen Sie tun, damit die moderaten Hutu nicht länger Zielscheibe für Mörder aller Seiten sind?

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Premierminister, ein bitterer Geschmack und das Gefühl völliger Desillusionierung hat diejenigen Ruander befallen, welche in der Bildung Ihrer Regierung die Erneuerung der Gerechtigkeit und die Wahrung des Friedens unterschiedslos für alle Ruander sahen. Man muß konstatieren, daß dieser Anspruch bis zum Beweis des Gegenteils weit davon entfernt ist, Realität zu werden. Das Alibi, es habe sich um isolierte Einzelfälle, um Rache einiger „undisziplinierter Elemente“ aus den Reihen der RPA gehandelt, gilt nicht mehr. Muß es für alle Ewigkeiten so bleiben, daß nur derjenige Ruander in seinem Land leben darf, dessen Ethnie die Regierung beherrscht?

Im Namen aller ermordeten Kinder von Kibeho und aller Märtyrer, die ihr Blut für den Umbruch in Ruanda vergossen haben, fordere ich Sie zu einer Antwort auf. Sagen Sie uns, ob die Tötungen von Kibeho wirklich den von Ihrer Regierung eingeschlagenen idealen Weg darstellen, um Ruanda zu einer tiefgreifenden Versöhnung aller Teile seiner geschundenen Bevölkerung zu führen. Monique Mujawamariya

Die Autorin ist eine in Kanada lebende ruandische Menschenrechtsaktivistin und heute Präsidentin der „Internationalen Stiftung Agathe Uwilingiyimana“, die nach der für die Demokratisierung eintretenden, zu Beginn des Völkermordes von 1994 getöteten Premierministerin Ruandas benannt ist. (Übers: J.G.)