„Was machen die da am Feiertag?“

1.-Mai-Kundgebung in Frankfurt am Main lockte 3.000 Menschen / Italienischer Gewerkschafter für europäische Solidarität, DGB für Menschenrechte in Kurdistan / Krach um Gregor Gysi  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Am S-Bahnhof im Frankfurter Arbeiterviertel Gallus zog sich gestern vormittag der Demonstrationszug des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) weit auseinander. Es wurde mehr flaniert als demonstriert. Rote Nelken als Stoffblümchen oder als modische Sticker gab es gegen Gebühr, Küßchen gratis. Heraus zum 1. Mai hatten die Gewerkschaften rund 1.200 Menschen in den diesig-warmen Morgen gelockt. Bis zur Kundgebung auf dem Römerberg hatten sich schließlich rund 3.000 zusammengeleppert. Fahrrad, Hund, Kind und Picknickkorb hatten frau und man für den anschließenden Ausflug ins Grüne gleich mitgebracht.

„Das sieht nach mehr aus, als es ist“, stellte ein Ordner mit kritischem Blick auf die lockere Marschformation fest. Dabei war der von den Gewerkschaftsordnern „Roter Block“ genannte Teil des Zuges schon mitgezählt. Die – vor allem kurdischen – K-Gruppen von Maoisten bis Altkommunisten waren offiziell nicht eingeladen, inoffiziell „hinten in 200 Meter Abstand“ geduldet. Um so lauter und lärmender intonierten sie bei ihrem Einzug auf den Römerberg mit hartem Trommelschlag die Internationale.

Das Musikprogramm aus dem Wagen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) war ebenfalls nicht leise, aber doch eher krächzend geraten. Das knappe Dutzend Arbeiterlieder und ihre Texte waren „schon so sehr von gestern“, daß sie bei einer Demonstrantin „eine seltsame Mischung zwischen Nostalgie, unfreiliger Komik und Mitleid“ auslösten. In der ersten Reihe schritt Bundestagsabgeordneter Karsten Voigt (SPD) bis zum Ende wacker aus und kommentierte dankbar die wenigen ruhigen Minuten – ehe auch die Parolen lauthals nicht aus den Kehlen der GewerkschafterInnen, sondern praktischerweise aus den Lautsprechern kamen. Gegen 10.30 Uhr spiegelten sich die Fahnen in den Fassaden der Bankenschlucht an der Mainzer Landstraße, durch deren Drehtüren geschäftige Krawattenträger eilten. „Was machen die da bloß an einem Feiertag?“ fragte eine Frau verwundert.

Auf dem Römerberg ließen sich die Versammelten dann von ihrem italienischen Kollegen Mario Agostinelli vom linken Gewerkschaftsbündnis CGIL Kampfesmut zusprechen. Der berichtete von den erfolgreichen Demonstrationen gegen die Regierung Berlusconi, die die „arrogante Rechte“ „erschüttert, wenn auch nicht vollständig geschlagen haben“, und beschwor die länderübergreifende Solidarität gegen das internationale Kapital. Er forderte die Gewerkschaften Europas „zu einem neuen, modernen Zusammenschluß“ auf.

Vor ihm hatte sich der hessische DGB-Landesvorsitzende Dieter Hooge kurz gefaßt und es bei wenigen markigen Sätzen bewenden lassen, in denen er auch daran erinnerte, daß der 1. Mai 1933 in Frankfurt zum erstenmal, unter faschistischer Regie, als Feiertag zelebriert wurde. Er wandte sich gegen die „Massenarbeitslosigkeit“ und die „extrem antisoziale Strategie der deutschen Unternehmer“. Hooge setzte sich außerdem für Freiheit und Menschenrechte in Kurdistan ein und warf der Bundesregierung, die der Türkei Waffen liefert, „Heuchelei und Zynismus“ und „nicht mehr zu überbietende Lauheit“ vor.

Das diesjährig etwas kryptische Motto des DGB „Geliebt, gehaßt, gebraucht, Die Arbeit – und morgen?“ war auf den Transparenten mit freundlichen, roten Herzchen versehen. Der Vortrag von Hanne Hiob, Tochter von Bertolt Brecht, und die Darbietung des Kabaretts „Die Aufrührer“ war dann inmitten von Abwandernd-Freizeit-Gestimmten akustisch nicht mehr zu verstehen. Der Römerberg, einst Zentrum von Massenkundgebungen, reihte sich diesmal in rund 70 ähnliche Veranstaltungsorte in Hessen ein. Streit gab es nur in Gersfeld, wo das Ortskartell Gregor Gysi als Redner geladen hatte und SPD und CDU gemeinsam dagegen protestierten.