Der Bauch vom Ku'damm

■ Neue Berliner Architektur: Das zu kurz geratene Bürogebäude am oberen Kurfürstendamm von Helmut Jahn / Höhenangst siegte über neues Stadtbild

Seit gut einem Monat besitzt der obere Kurfürstendamm wieder einen Bauch. Über den Graben am Halensee ragt ein kleiner achtgeschossiger Büroturm, dessen runder Kopfbau wie alle etwas zu kurz geratenen Dinge mehr dick als schlank erscheint. Das bauchige Gebäude ist das zweite Projekt am Ku'damm des Chicagoer Architekten Helmut Jahn. Nur hundert Meter weiter steht, wie ein Gegenpol zu dem Bürotürmchen, das „dünnste“ Berliner Geschäftshaus auf einem gerade einmal 2,70 Meter breiten Grundstücksstreifen.

Nach dem „schmalen Handtuch“, so die Berliner Schnauze, soll der „Bauch“ wohl Opulenz demonstrieren, soll Chiffre sein für den Boom der Dienstleistungscity Berlin. Wie weit es damit her ist, verrät ein Blick in das Innere des „Bauchs“: Er ist leer. Nach Auskunft des Bauherrn, der Frankfurter VEBAU, hat sich noch kein Mieter eingefunden. Der Büromarkt am oberen Ku'damm steckt in einer „dicken“ Krise.

Dem bauchigen Rundbau merkt man an, daß er eigentlich größer werden wollte. Der Erdgeschoßzone aus breiten Glasfeldern und mächtigen schwarzpolierten Granitpfeilern könnte gut und gern auch eine Hochhausfassade folgen. Jahn, der Hochhausarchitekt, treppte den Bau nach dem sechsten und siebten Stockwerk ab. Als hätte man einen Bankenturm vor sich, wird der Eingang von einem Stahlvordach gerahmt, und über der 30 Meter hohen Traufe sitzt eine metallene Krone, die das gedrungene Volumen schnittig abfedert. Die beiden Stahlvorbauten verband der Architekt mit einem senkrecht aufstrebenden Aluminium-„Schwert“, das nachts neonartig illuminiert ist und der Schwere Höhe geben soll.

Hinter der bandartigen Fassade aus silbergrau- und grüngetönten Fensterscheiben findet in der großen Eingangshalle die etwas protzig wirkende Schwere ihre Fortsetzung: weißer Marmor am Boden und an den Wänden, Edelstahlintarsien, Treppenstufen aus beleuchtetem Glas und glitzernde Aufzüge. Die rund 13.000 Quadratmeter Nutzfläche für die Büros brachte Jahn in zwei L-förmigen Flügeln unter, die sich rückseitig an den Bauch anschließen. Um dem Ensemble auch hier zu einer etwas aufstrebenden Dynamik zu verhelfen, beließ der Chicagoer Baumeister den kleinen Flügel bei fünf Geschossen, hob den zweiten Trakt auf sechs Geschosse an und staffelte den besagten Rundkopf bis zum achten Stock.

Je näher man sich das Gebäude ansieht, desto deutlicher wird: Es war eine falsche Entscheidung der Bauverwaltung, den vorderen Baukörper wegen seines Standorts in der Nähe eines Wohngebiets klein zu halten. Nichts hätte dagegen gesprochen, am westlichen Autobahnkreuz ein paar Meter mehr in die Höhe zu gehen, Geschäfte und andere Nutzungen in das Gebäude einziehen zu lassen und so dem Ort eine Bedeutung zu geben. Denn städtebaulich ist hier nichts von Bedeutung. Der Künstler Wolf Vostell hatte bereits zur 750-Jahr-Feier Berlins angemahnt, den wüsten Ort am Ku'dammende ins Visier zu nehmen. Mit seiner großen Betonskulptur „Cadillac“ ein paar Meter weiter macht er sich über die sechsspurigen Auf- und Abfahrten zwischen Kurfürstendamm, S-Bahn-Trasse und Autobahn lustig. Beton und Autoblech und nichts anderes gibt es hier.

So geht die Planung Jahns etwas ins Leere, ihr amerikanischer Zuschnitt verpufft. Die bekannte Höhenangst der Berliner obsiegte über ein mögliches neues Stadtbild an einer Stelle, die Hochhausentwürfe zuließe. Der Ku'damm hat nun zwar einen (leeren) Bauch, aber keinen Abschluß. Rolf Lautenschläger