Eine Leiche auf der Demo-Route Le Pens

■ Bei einer Demonstration der Front National stießen Skinheads einen 29jährigen Marokkaner in die Seine / Le Pen sieht keinen Zusammenhang

Paris (taz) – „Demonstration ohne Zwischenfälle“, vermeldeten die Ordner der Front National am Sonntag nachmittag in Paris, nachdem die mehreren tausend Rechtsextremen den Heimweg von dem Platz vor der alten Oper angetreten hatten. Brahim Bourham war zu jenem Zeitpunkt bereits seit Stunden tot – ertrunken in dem immer noch hoch stehenden Wasser der Seine. Gegen 11.30 Uhr waren mehrere Skinheads auf der Brücke vor dem Louvre aus der Demonstration ausgeschert und hatten den 29jährigen Marokkaner, der am Ufer spazierenging, in den Fluß gestoßen. Anschließend mischten sie sich wieder unter die übrigen Rechtsextremen und verschwanden.

Der Mord, sechs Tage vor der Stichwahl für das Präsidentenamt, geschah 150 Meter vom Weg der rechtsextremen Demonstranten entfernt, die an diesem 1. Mai wie jedes Jahr der französischen Nationalheiligen Jeanne d'Arc gedachten. Zwischen 8.000 (Polizeiangaben) und 15.000 (Angaben der Front National) Teilnehmer waren gekommen – darunter Nonnen und Priester in Arbeitskleidung, Traditionspilger der Heilig-Herz-Jungfrau von Chartres, kinderwagenschiebende Damen, die Transparente für das Recht auf ihr Hausfrausein trugen, Lebensschützer, einstige Algerienkämpfer und Resistants in Uniform und eine Menge kahlgeschorener, schwarzgekleideter Jugendlicher. Bei der Abschlußkundgebung gab Parteichef Jean-Marie Le Pen, der im ersten Wahlgang das stolze Ergebnis von 15 Prozent erreicht hatte und viertstärkster Politiker wurde, ihnen freie Hand für die Stichwahl am kommenden Sonntag. Er könne weder den neogaullistischen Kandidaten Jacques Chirac noch den Sozialisten Lionel Jospin empfehlen: Beide seien „Kandidaten des Auslands“.

Bekannt wurde der Mord an Brahim Bourham erst am späten Nachmittag durch eine Depesche der Nachrichtenagentur AFP. Noch um 15.30 Uhr hatte die dortige Chefin vom Dienst wie nach jeder großen Demonstration in der Polizeipräfektur nachgefragt, ob es Zwischenfälle gegeben habe. „Nein“, lautete die Antwort.

Die Führung der Front National allerdings, so meldete gestern die französische Tageszeitung Libération, sei bereits um 13.30 Uhr – direkt nach der Rede ihres Führers – über den Mord informiert worden.

Eine Erklärung für das lange Schweigen der Polizei gegenüber der Öffentlichkeit gab es gestern nicht. „Die Ermittlungen sind im Gange“, lautete die Auskunft der Präfektur. Rund zehn Augenzeugen – darunter mehrere Teilnehmer der Demonstration – waren am Sonntag stundenlang von der Polizei vernommen worden. Auch gestern befanden sich noch mehrere Personen im Verhör.

Die beiden Präsidentschaftskandidaten Jospin und Chirac verurteilten den Mord als „abscheuliche Tat“. Den rechtsextremen Führer Le Pen, dessen Wähler sowohl Jospin als auch Chirac für einen Sieg brauchen und mehr oder weniger direkt umwerben, erwähnten beide Kandidaten nicht in ihren Erklärungen. Rechtliche Konsequenzen gegen die rechtsextreme Partei verlangten hingegen die antirassistischen Organisationen und linken Gruppen, die heute nachmittag eine Kundgebung am Ort des Verbrechens, direkt unterhalb der Pont du Carroussel, abhalten wollen. SOS-Racisme macht die Front National direkt für den Mord verantwortlich und fordert ein Verbot sämtlicher „öffentlicher Demonstrationen“ der rechtsextremen Partei. Die Bewegung gegen Rassismus und für Völkerfreundschaft bezeichnete den Mord als „logische und tragische Konsequenz einer Ideologie, die zum Rassismus anstachelt“. Le Pen selbst machte am Sonntagabend „kommunistische Skinheads“ für die Tat verantwortlich. Einen Zusammenhang mit seiner Demonstration vermochte er nicht zu erkennen, zumal „der Zwischenfall“ 150 Meter vom Demonstrationsweg entfernt stattgefunden habe. Bei einer 10-Millionen-Einwohner-Stadt seien derartige Ereignisse ohnehin nicht zu vermeiden. Dorothea Hahn