Schüler streiken für ihre Lehrerin

■ Prügelei Kreuzberger Schüler mit rechten Jugendlichen in Marzahn hat Nachspiel / Religionslehrerin wird beurlaubt

Mit Schildern wie „Gehässigkeit und Intrigen sollen von der Schule fliegen“ und „Andere Lehrer können gehn, doch Evi woll'n wir wiedersehn“ streikten gestern mehrere Dutzend Eltern und Schüler der Kreuzberger Hans- Sachs-Schule. Sie sehen darin die einzige Möglichkeit, um gegen die vorläufige Beurlaubung der Religionslehrerin M.E. und die „Machenschaften“ an der Hauptschule aufmerksam zu machen.

Der Streik richtet sich gegen den Versuch, die beliebte Religionslehrerin abzusägen. Sie hatte im November letzten Jahres eine Fahrt nach Marzahn organisiert, wo sie mit den Schülern eines Projektkurses einen Film über Gewalt drehen wollte. Der Ausflug endete in einem Eklat. Rechte Jugendliche, die die vorwiegend ausländischen Schüler mit „Heil Hitler!“- Rufen provozierten, ließ die Polizei laufen. Statt dessen wurden acht Schüler festgenommen und wurde der Lehrerin vorgeworfen, Waffen versteckt zu haben, die sie den Schülern vorher abgenommen hatte. Nachdem ein 13jähriger Schüler erkennungsdienstlich behandelt und die an dem Vorfall beteiligten Schüler in der Schule ohne vorherige Benachrichtigung der Eltern vernommen und fotografiert worden waren, hatte sich der Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses mit dem Vorfall befaßt. Gegen drei Schüler läuft ein Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs.

Die bislang unterschwelligen Vorbehalte vieler Kollegen gegen E.s Art, Klassenfahrten durchzuführen, seien seitdem offener zutage getreten, sagte die Elternsprecherin Silvia Kosch. Sie ist überzeugt, daß M.E. vielen Lehrern ein „Dorn im Auge“ sei, weil sie das Vertrauen der Schüler genieße. Mit Aufsätzen, die Lehrer die Schüler über Fahrten mit der Religionslehrerin schreiben ließen, versuchten sie, „die Schüler auszuhorchen“. „E. soll nur die Bibel in die Hand nehmen und Kindern das Beten beibringen“, beschreibt Silvia Kosch den Wunsch vieler Lehrer.

Vor den Osterferien sei die Situation sogar so angespannt gewesen, daß keiner mehr mit dem anderen gesprochen habe, so eine Lehrerin. Kosch beklagte, daß die Lehrer ihre Streitigkeiten über den Inhalt von Religionsunterricht auf dem Rücken der 200 Schüler austrügen. Kosch, die an mehreren Konferenzen teilgenommen hat, ist fassungslos über die „widerliche Art“, in der sich Lehrer „anschreien“ würden, statt sich vernünftig auseinanderzusetzen.

Die Gesamtkonferenz Ende März, bei der sich 17 der 25 Lehrer gegen E.s Verbleib ausgesprochen hatten, mußte sogar abgebrochen werden. Nun soll Schulrat Först am Montag für eine geregelte Fortführung der Konferenz sorgen. Es dürfe nicht sein, daß sich andere Lehrer in den Inhalt des Religionsunterrichtes einmischten, so Först. Die Verantwortung dafür liege allein bei der Kirche.

Der stellvertretende Leiter des Amtes für Religionsunterricht wollte sich zu der Beurlaubung von E. nicht äußern. Vor Abschluß der „disziplinarischen Vorermittlungen“ könne er nichts sagen, so Hans Queisser. Es gebe eben „verschiedene Vorstellungen über das Prozedere von Klassenfahrten“. Für E. kommt die vorläufige Beurlaubung einem „halben Berufsverbot“ gleich. „Sie ist die einzige Lehrerin, mit der man über alles vernünftig reden kann“, sagte der 15jährige Marc gestern. Der 16jährige Bülent beklagte, daß es anderen Lehrern „scheißegal“ sei, ob man im Unterricht mitkomme.

Schuldirektor Heinz Winkler äußerte sich gestern äußerst zurückhaltend. „Vieles führt zu Spannungen“, sagte er vage. Hinzu komme eine unzureichende Kommunikation zwischen der evangelischen Kirche und der Lehrerschaft zum Thema Klassenfahrten. „Gegensätzliche politische Grundhaltungen“ führten zu „grundsätzlichen Problemen“. Barbara Bollwahn