Nur noch intelligente Netze

Bessere Tage gesehen: Industriefilme auf den Oberhausener Kurzfilmtagen / Das Genre, das früher eine Art Visitenkarte seiner Kultur war, muß langsam der CD-Rom weichen  ■ Von Thomas Miles

Statt behaglicher Rückschauen in die Kinogeschichte, wie sie derzeiten allerorten üblich ist, hat sich das Oberhausener Filmfest dieses Mal – der eigenen Region treu – einem verkannten Filmgenre zugewandt: dem Industriefilm. Ein seltsamer Zwitter von Lehr-, Propaganda-, Experimental- oder auch Dokumentarfilm kann sich das Genre so recht in keiner der großen Filmhistorien behaupten. Ob er will oder nicht, der Industriefilm kommt nicht umhin, sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu beschäftigen – traditionell als ungebrochenes Ausbeutungsverhältnis, seit den achtziger Jahren mit Skepsis verfilmt. Diesem letzteren Film, so sah man in Oberhausen, stellen sich neue Probleme ästhetischer Art: Wie zeigt man, daß ein Produkt kein Formaldehyd mehr enthält?

Richtig leben, richtig arbeiten – immer ist der Industriefilm auch eine mentale Visitenkarte der Kultur, die ihn hervorgebracht hat. Dieser Zusammenhang wurde in einer Vorführreihe zu „Industriefilm als Propaganda“ deutlich, in der filmische Konzepte des Kapitalismus denen des Sozialismus gegenübergestellt werden. Während so in „Master Hands“ (USA, 1936)) eine mit orchestraler Musik unterlegte Huldigung fordistisch-tayloristischer Produktionsformen in den Chevrolet-Werkshallen inszeniert wurde, wird in Dziga Vertovs „Der Mann mit der Kamera“ (UdSSR, 1929) oder Eisensteins „Die Generallinie“ (1929) die Vision des neuen sozialistischen Menschen gefeiert, der, im Rhythmus mit den Maschinen neue schöpferische Kräfte zum Soz.-Aufbau entwickelt.

Der Industriefilm entsteht aus einem Paradox: Er soll nackte physische Realität abbilden, obwohl er immer aus konkreten Verwertungsbedingungen heraus entsteht. Der Filmemacher handelt in der Regel nicht aus künstlerischem Impuls oder aus einem bestimmten sozialen Interesse, sondern ist ausführende Instanz seines Auftraggebers.

Alain Resnais und die Erdölraffinerie

Wie sich dann trotzdem ein Stil durchsetzt, zeigte vor allem eine Reihe mit großen Namen: Ein in Deutschland fast unbekannter Film von Michelangelo Antonioni, „Sette Canne, Un Vestito“, einem Film über eine Viskosefabrik, wurde ebenso vorgestellt wie Resnais' Porträt einer Erdölraffinerie oder Edgar Reitz' Dokumentation einer Verkehrsausstellung in München oder Jean- Luc Godards Video über die France-Telecom.

In Oberhausen wurde aber auch deutlich, daß es sich bei dem klassischen Industriefilm durch die Konkurrenz der Neuen Medien um eine aussterbende Gattung handelt. In aktuellen Filmproduktionen werden zunehmend virtuelle Bilder verwendet. Neben ästhetisch durchaus interessanten Realisationen (zum Beispiel Fiats „Evolutions“, Italien, 1993) entstehen aber auch eine Reihe herzlich dilettantischer Filme wie jener der Stadt Oberhausen, die zur Propagierung einer neuen Straßenbahnlinie ein simples computergeneriertes Modell durch Standphotos mit Stadtansichten fahren läßt. An einigen Beispielen („The AT&T Network“ USA, 1993, oder „Intelligente Netze“, Telecom, Deutschland, 1994) zeigte sich, daß sich die Grenze zum reinen Werbefilm immer mehr auflöst – der klassische Industriefilm wird so zunehmend überflüssig.