Die Marx-Lektüre war nicht fremdgesteuert

■ FU-Diskussion über den Einfluß der Stasi auf die DDR-Forschung der Uni

Die Crème de la Crème der DDR-Forschung war zum Otto- Suhr-Institut für Politologie an die Freie Universität gepilgert, um sich zu streiten. Dennoch war „ein bißchen wenig Pfeffer drin“, kommentierte der Alt-SDS-Star Bernd Rabehl die Veranstaltung am Mittwoch abend, die über den Einfluß der Stasi auf die FU Aufschluß geben wollte. Der Grundsatzstreit der gegenwärtigen DDR-Forschung wurde vor den rund 150 Zuhörern gleich mitverhandelt.

Mit der Veranstaltung sollte wohl die Härte der Debatte, die in den letzten Monaten unter Berliner Politologen entbrannt war, etwas abgemildert werden. Auf der Anklagebank: Jochen Staadt und Klaus Schroeder, beide vom „Forschungsverbund SED-Staat“ der FU. Ihnen wurde während der bisher in den Medien geführten Debatte vorgeworfen, unwissenschaftlich mit ihren Erkenntnissen über die Verstrickung des MfS mit Teilen der FU-Belegschaft umgegangen zu sein. Zu personalisiert seien die Vorwürfe vorgetragen worden, zu wenig in den Gesamtzusammenhang der Geschichte eingebunden, eben „methodologisch fragwürdig“.

Staadt und Schröder blieb nichts anderes übrig, als sich zu verteidigen. „Wissenschaftliche Aufarbeitung der SED-Zeit ist auch politische Aufarbeitung“, rechtfertigte Staadt seinen Ansatz, den andere unverblümt als „Denunziation“ und „Verdachtssemantik“ brandmarkten. „Sie bauen Pappkameraden, wenn Sie behaupten, wir würden einen Generalverdacht aufbauen“, meinte Klaus Schröder, Leiter des Forschungsverbundes.

Daß es nicht nur um einen wissenschaftlichen Methodenstreit gehen konnte, wurde immer wieder deutlich. Wenn über die SED- Infiltration an der FU geredet wird, steht zwangsläufig die hochschulpolitisch bewegte Zeit der Sechziger und Siebziger im Mittelpunkt der Debatte. Und die Widersacher von damals forschen heute nebeneinander her – die Grabenkämpfe der Wissenschaftler rühren auch aus alten Zeiten. Konrad Jarausch vom Zentrum für Zeithistorische Studien Potsdam meinte dann auch, der Ton der Debatte sei völlig überzogen, es sei deutlich, daß es hier immer wieder um alte Wunden gehe.

Entzündet hat sich die Debatte nicht zuletzt an der Forderung nach einer generellen Überprüfung der FU-Angehörigen durch die Gauck-Behörde. Staadt machte vier Positionen dazu aus: Er selbst plädierte dafür, diese Entscheidungen den Fachbereichen zu überlassen. Andere wollten eine generelle Überprüfung, wieder andere seien auch heute der Meinung, es bestehe kein Handlungsbedarf. Eine vierte Position bestehe darin, alle westlichen Unimitarbeiter an Ost-Unis zu überprüfen, um wenigstens dort eine Gleichbehandlung von „Wessis und Ossis“ zu erreichen.

Gesine Schwan, ehemalige Dekanin des Fachbereiches Politische Wissenschaft, die sich gegen eine generelle Überprüfung ausgesprochen hatte, wollte einen anderen Aspekt beleuchtet sehen: „Was war nur DDR-freundlich, was war fremdgesteuert?“ fragt sie. Eine Frage, die der Alt-68er Bernd Rabehl zumindest teilweise beantworten konnte. „Unsere Marx- Lektürekurse waren natürlich nicht fremdgesteuert – das war unsere eigene Dummheit“, gab er zu. Christoph Dowe