Orte: Trottoirschätze Von Claudia Kohlhase

Trottoirs sind natürlich nicht nur zum Gehen da, sondern auch zum Anhalten. Es soll sogar Menschen geben, die sich auf Trottoirs bükken, andere wiederum laufen prinzipiell vorbei, was uns hier aber nicht interessiert.

Nebenbei bemerkt sagt auch niemand mehr Trottoir, sondern Bürgersteig, igitt, und fährt deswegen lieber Straßenbahn oder was gerade kommt. Trotzdem gehören Trottoirs in Städten dazu, und so mancher trottet denn auch gottergeben und achtet darauf, daß irgendwo etwas Besonderes vorkommt, weil gute Trottoirs es darauf anlegen, ein Eigenleben zu haben. Ja, es ist, als gehörten Eigenleben und Trottoir geradezu zusammen; und da heutzutage kein Kot mehr heraufspritzt, kann man sich dort im Grunde sogar hinsetzen und Mittag essen oder ein paar Stofftiere aufstellen. Und wenn schon Stofftiere, warum dann nicht auch ein Autoquartett, einen philippinischen Gummihasen und Muscheln? Das müßte doch wirklich ein Verkaufsschlager werden, wenn sich jemand so weit herabläßt.

Denn da unten, noch weiter unten, direkt auf dem Pflaster, da sitzen zwei. Natürlich zwei Kinder, was sonst außer Kinder oder Penner oder Junkies, aber heute ist Methadonausgabe, also Kinder. Und zu ihren Füßen stehen die Stofftiere und hauptsächlich der Gummihase und warten. Und hoffen, daß jemand in der Lage sein wird, einen Schatz nicht nur zu erkennen, sondern auch zu heben, und zwar cash. Denn natürlich handelt es sich hier um einen echten Schatz, wenn auch ausgemustert. Aber redlich bespielt und gequetscht – das sieht doch jeder, das ist es ja, was der Wert ist. Gibt es einen besseren? Was denn der philippinische Gummihase kosten soll? – Huch, natürlich! Der Preis. Es muß ja tatsächlich was kosten. Hm.

Der Preis. Wie macht man das jetzt, wenn man den Preis nicht weiß, aber da steht jemand. Also der Gummihase soll's sein? Also der Gummihase, der Gummihase. Der Gummihase, der kostet so um die zwei Mark bis so um die drei Mark oder was ich so dabei habe. Naja, ich habe schon so ein bißchen mehr dabei, und das sollte jetzt nicht alles für Gummihasen draufgehen, wie wär's mit einer Mark, wenn sie auf ein Fünfmarkstück rausgeben?

Ja, die kannste ruhig geben, die fünf Mark, sagt die, die höchstens vier ist, is nich schlimm. Was heißt hier schlimm, sage ich, is zuviel. Ja, sagt die andere, die fünf ist, dann kriegste das Autoquartett dazu und noch zwei Muscheln. Wir verhandeln ernst, also der Sache angemessen, weil ich nur den Gummihasen will, egal jetzt, warum.

Warum willste denn nur den Gummihasen, fragt die, die fünf ist, und legt das Autoquartett ein bißchen netter hin. Weil ich nicht mehr Autoquartett spiele, sage ich, und zähle meine letzten Groschen ab, bis eine Mark dabei rauskommt. Aber Autoquartett ist toll, sagt die andere, und macht das Autoquartett auf. Es nützt nichts, sage ich, hier ist eine Mark. Okay, der Gummihase wechselt die Seiten, überall zufriedene Gesichter.

Warum eigentlich der Gummihase, frage auf einmal erstaunlich harmlos ich, warum muß er auf die Straße und nicht irgendeine andere Ente? Pause. Tja. Es hat eben den Gummihasen getroffen. Man kann ja nicht alles behalten. Ach nee!? Nee.