„Ich esse täglich 45 Eier“

Alex Wright ist 19 Jahre jung und gilt als neues deutsches Wrestlingwunder – ein Nachwuchsmeuchler unter den Gladiatoren, denen selbst Präsident Bill Clinton lustvoll zusieht  ■ Von Tomas Niederberghaus

Berlin (taz) – Er erinnert an den Typus des letzten großen Abenteurers. Seine Wildlederjacke hat Fransen, seine Cowboystiefel sind sauber, aber nicht poliert. Sein Gang ist lässig, aber nicht krumm. Nur seine Haare werden nicht vom Schweiß und dem Staub kühner Farmerarbeiten in Form gehalten, sondern vom duftenden Haargel. Und seine Mundwinkel verachten nicht die Gefahren der Welt, sondern verziehen sich zu einem smarten Blendaxlächeln. Und dann ist da noch sein Name: „Alex, das Wunderkind“. Wenn Alex zuschlägt, seinem Gegner die Hacke ins Ohr rammt oder den Ellenbogen in die Fresse quetscht, dann ist das ein orgiastischer Moment für seine Fans. Alex nämlich kennt die Spielarten des Wrestling – und deshalb gilt der 19jährige Nürnberger als das deutsche Nachwuchstalent der amerikanischen Kampfsport- Entertainment-TV-Shows. World Champion Wrestling (WCW) – das größte Wrestling-Wirtschaftsunternehmen in den USA – will ihn zum Star-Meuchler hochpusten.

Wrestling – man braucht dazu mehr als Kraft und Disziplin. „Ich lebe das“, sagt Alex. Mit bürgerlichem Namen heißt er Alex Wright. Aber er ist kein Bürger mehr. Er ist ja ein Wunder. Jeden Morgen rappelt sich das Wunder um sechs Uhr auf (manchmal auch um sieben), ißt 15 Eier aus der Pfanne und auch ein paar Toasts. Und dann geht's rund: das Liegen auf der Sonnenbank, das Trainieren der Kondition, das Züchten der Muskeln. Der blonde Hüne macht täglich 550 Liegestütze und 1.200 Kniebeugen. „Doch im Vordergrund“, erklärt Alex, „steht Ringen, das heißt neue Kombinationen, Techniken und Würfe, neue Fallübungen“. Wenn er in der Muskelfabrik am Rande seiner neuen Heimatstadt Atlanta auf die Matte klatscht, wird jede Bewegung, jeder Schweißtropfen per Video konserviert und auf mögliche Verbesserungen begutachtet.

So gegen Mittag ißt Alex die nächsten 15 Eier (immer ohne Dotter!) und auch ein paar Toasts. Abends gibt's dann noch mal 15. Und gegen den Hunger vertilgt der 100-Kilo-Mann – ebenfalls dreimal täglich – ein paar Truthahnschnitzel, jede Menge Kartoffeln und/ oder Nudeln und/oder Reis sowie ein paar Portionen gedämpftes Gemüse. Und natürlich Obst. Jede Menge Obst. Wie andere Laster haben, hat Alex eine Leidenschaft. Er raucht nicht und trinkt keinen Alkohol, er kümmert sich den lieben langen Tag nur um das vermeintliche Wohlergehen seiner 195 Zentimeter Körper.

Wenn Alex die Augen schließt, dann sieht er sich bereits ganz oben. Der Weltmeisterschafts-TV- Titelkampf steht ihm gerade bevor. Er möchte der Beste werden. Und die Chancen, munkeln die Profis, stehen nicht schlecht. Schon im Alter von einem Jahr stand Alex im Ring, durfte er das Training des Vaters und Weltmeisterschaftsringers hautnah verfolgen. Als er acht Jahre alt war, stemmte er pausenlos Hanteln, zwei Jahre später schaffte er es zum bayerischen Meister im Gewichtheben. Dann wurde er Leistungsschwimmer, dann Profiringer. Der Erfolg kam Schlag auf Schlag. Es blieb gerade noch Zeit für Realschulabschluß und Ausbildung zum Versicherungskaufmann.

Alex ist der jüngste von insgesamt etwa 40 Wrestlern, die bei WCW im Brot stehen. Die großen Stars heißen Hogan und Sting. Für sie pulvert das Unternehmen Millionen Dollar in Marketingstrategien. Sieben Programmstunden wöchentlich sendet WCW die geölten Muskeln der Retorten- Rambos in die Wohnstuben der Amis. Millionen schauen zu. Selbst Präsident Clinton legt abends die Füße vor dem Fernseher hoch und entspannt sich, wenn es wieder heißt: „Eins auf die Fresse!“ Alex hat bereits eine Fan-Gemeinde, fliegt ab und an durch die USA, um die Autogrammjäger zu befriedigen. „Es ist ein atemberaubendes Gefühl“, sagt Alex, „wenn einem die Fans zujubeln, das gibt mir Aufwind und Stärke, immer besser zu werden.“

Autogrammstunden und Journalistentermine gehören zur Kür. Star-Wrestler müssen sich eine Aura aufbauen, sie müssen funktionieren. Denn Wrestling ist Business. Manchmal wird Alex vom WCW auch zu Kliniken geschickt, in denen krebskranke Kinder liegen. Oder zu Schulen. Alex, der sich „als gutes Vorbild versteht“, erklärt den Kids dann, daß es „schlimm ist, Drogen zu nehmen“. Aber das Wichtigste sind für Wunder-Alex die sogenannten Arena- Shows: Fast hautnah dürfen die Fans seinen tierischen Schreien frönen, seinen Schweiß einatmen und frenetisch applaudieren, ohne dabei selbst eins auf die Mütze zu bekommen. Der deutsche Lederstrumpf gesteht: Da er oft allein ist und ja auch gar keine Zeit für feste Freundschaften und Beziehungen hat, kommt es schon mal zu einem One-night-stand mit der ein oder anderen kreischenden Dame aus dem Publikum.

Ziemlich blöd findet Alex die vorherrschende Meinung, daß die Monsterkämpfe nach Regieanweisung ablaufen. „Wenn ich als 100-Kilo-Mensch gegen einen 200-Kilo-Mann ringe“, sagt er, „dann kann der mich 100prozentig verletzen, wenn wer will.“ Deshalb halte man nicht immer dagegen, sondern gehe mit den Bewegungen mit. So gesehen könne das schon mal aussehen wie eine Inszenierung. Aber wenn ihn jemand aufs Kreuz legt, weiß Alex, dann „tut das weh, ein Ring ist nämlich wie ein Bretterboden. Das alles ist also keine Show, und es gibt sehr viele Verletzungen.“

Alex hat sich umgezogen, kommt in knapper schwarze Ringerhose und Motorradjacke zum Fototermin. Schon klar, wovor er Angst haben muß. Und er räumt auch ein: Die „größte Sorge“ ist es, daß jemand seinen makellosen Körper verhunzt. „Es gibt Wrestler“, sagt Alex, „die lassen ihre ganzen Aggressionen im Ring raus und hauen einfach nur drauf.“ Seinen Vater hat es so erwischt. Damals, im Ring, bei der WM. Ein Japaner hat ihm die Ellenbogengelenke zermalmt. Noch heute ist er verletzt, kann gerade noch der Tätigkeit als Physiotherapeut nachgehen. „Man muß immer Opfer bringen, um weit zu kommen“, sagt Alex. Und schließlich verdiene er ja viel Geld. Verdammt viel. Mehr als jeder Abenteurer.