Was wird aus dem Fernsehsofa?

■ Der europäische Aufbruch in die Informationsgesellschaft - Eine Tagung des Europäischen Forums

EU-Kommissar Martin Bangemann erwischte es gegen Mittag kurz hinter Paris. Ein Autounfall mit Blechschaden verhinderte sein persönliches Erscheinen beim „Europäischen Forum“, das von der Europäischen Kommission seit 1990 zum fünften Mal organisiert wurde. Es widmete sich diesmal in Köln den „Medien in der europäischen Informationsgesellschaft“.

Neben den bald anlaufenden Multimedia-Pilotprojekten beschäftigte die Versammlung vor allem das Schicksal des „couch viewing“, wie ZDF-Justitiar Carl Eugen Eberle das traditionelle Fernsehen definierte. Während hier der Abstand zum Bildschirm bei etwa drei Metern liegt, beträgt er beim „desk viewing“ am PC nur 60 cm.

Bei der Frage „Zerschlägt die europäische Informationsgesellschaft bestehende Rundfunkordnungen?“ wurde freilich weniger über die zahlreichen Varianten des dualen Rundfunksystems in Europa gestritten als über mögliche Auswirkungen der EU-Politik auf ARD und ZDF. Die sehen sich nämlich auch hier unter Druck. Fernsehen gilt der EU vornehmlich als grenzüberschreitende Dienstleistung. Antje Karin Pieper, Justitiarin des WDR, verteidigte dagegen routiniert das „Kulturgut Rundfunk“ in bundesrepublikanischer Verantwortung.

Wie steht es um das Kulturgut Rundfunk?

Wenn die Position der EU dennoch an Boden gewinnt, liegt das nach Pieper vor allem an den Bundesländern. Ihr Zank um Standortinteressen schafft ein „Vakuum im deutschen Rundfunkrecht“, das die EU zunehmend in ihrem Sinne füllt. Zur Regelung der Kompetenzprobleme und zur Sicherung des Meinungspluralismus empfahl Pieper einen Runden Tisch.

Klaus Gärtner, Chef der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei, pochte dagegen unbeirrt auf die alleinige Zuständigkeit der Bundesländer und riet der EU gewohnt brachial, sich dem Thema fernzuhalten. Auch die Unterscheidung von Dienstleistung und Kulturgut sei wenig relevant: „Ich will diskutieren, wem was gehört und wer was damit macht.“ Gärtner ließ sich weder vom Hinweis auf die zunehmend internationalen Verflechtungen der Medienmultis verwirren noch von der Anmerkung Helmut Thomas, daß die deutschen Bemühungen zur Kontrolle der Medienkonzentration im europäischen Vergleich eher als bescheiden zu bezeichnen sind.

Für Colette Flesch, die zuständige EU-Generaldirektorin, ist freilich der Weiterbestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa keine Frage. Seine Abschaffung sei von den Mitgliedsstaaten weder politisch gewollt noch politisch durchsetzbar. Unbestreitbar sei auch, daß der Rundfunk neben seiner Eigenschaft als Dienstleistung ein Kulturgut ist. Wie allerdings in der beginnenden Informationsgesellschaft die „kulturelle Vielfalt in Europa respektiert und bereichert“ werden kann, bleibt auch für Flesch eine offene Frage. In dem eben von der Kommission verabschiedeten Entwurf der EU-Fernsehrichtlinien sind die multimedialen Dienste beispielsweise ausgeklammert. Dazu wird Ende des Jahres ein Grünbuch der Kommissare Bangemann, Oreja und Monti erscheinen.

Und warum spricht niemand von Stuttgart?

Zuvor hatte in Köln anstelle Bangemanns dessen langjähriger Mitarbeiter Reinhard Büscher schon einmal für den multimedialen Aufbruch Europas geworben. Den damit verbundenen technischen Herausforderungen sei Europa allemal gewachsen. Alle Welt rede zum Beispiel über das Multimedia- Pilotprojekt Orlando, Florida, wo eben der siebte Testhaushalt angeschlossen werde. Niemand spreche von Stuttgart, wo demnächst bis zu 4.000 Haushalte Anschlüsse testweise nutzen werden.

Allerdings fehle hierzulande noch eine gewisse mentale Aufgeschlossenheit für das Neue – eine Art „just-do-it-mentality“. Dabei steht nach Büscher auch die viel beschworene „kulturelle Identität“ Europas auf dem Prüfstand. Die Rede von deren Gefährdung durch die neuen Medien geistere schon seit Jahren durch die Debatte. Keiner der Verteidiger des hohen Wertes scheine jedoch genau zu wissen, was denn da als „kultureller Kitt“ der Gesellschaft verteidigt werden müsse. Man müsse sich von einem fast schon musealen Kulturbegriff lösen und ihn öffnen und dynamisieren. Das gelte auch für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seine Existenzberechtigung sei unbestritten, wenn er ein klares qualitatives Profil entwickeln könne. Wolfgang Hippe