Rekrutiert und losgelassen

■ In Ruandas neuer Armee ist von der Disziplin der Guerilla nichts geblieben

Nairobi (taz) – Die blutigen Vorfälle im Zusammenhang mit der Räumung des Flüchtlingslagers Kibeho im Südwesten Ruandas werden jetzt von einer internationalen Kommission untersucht, der Vertreter der Vereinten Nationen, der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und mehrerer Industriestaaten angehören. Die erste Sitzung der Kommission fand gestern in Kigali statt – wenngleich sie als „symbolisch“ einzustufen sei, wie ein ruandaischer Regierungssprecher sagte, weil noch nicht alle Kommissionsmitglieder eingetroffen seien.

Im Mittelpunkt der Nachforschungen wird die Rolle des ruandischen Militärs bei der Aktion stehen. UNO-Sprecher legen der Armee den Tod von etwa 2.000 Flüchtlingen zur Last. Beleuchtet wird damit auch die Frage, ob die aus Militärs und Zivilisten zusammengesetzte Regierung Ruandas die Armee noch vollständig unter Kontrolle hat. Die neuen Streitkräfte des zentralafrikanischen Landes sind ursprünglich aus der Rebellenbewegung RPF (Patriotische Front Ruandas) hervorgegangen, die im letzten Sommer den militärischen Sieg im Bürgerkrieg errungen hat. Aus der Guerillabewegung, deren hohen Grad an Disziplin ausländische Beobachter immer wieder anerkennend hervorhoben, ist eine Armee geworden, in der viele Rekruten nicht älter als 15 Jahre sind. Während fast alle RPF-Kämpfer englisch oder französisch sprachen, können sich die meisten Soldaten, die derzeit zu Tausenden Ruandas Wege und Straßen patrouillieren, nur in der Landessprache Kinyarwanda oder auf Swahili verständigen.

Genaue Angaben über die Stärke der ruandischen Armee gibt es nicht. Die Zahl der RPF- Kämpfer wurde zu Zeiten des Bürgerkrieges auf rund 20.000 geschätzt. UNO-Mitarbeiter halten es für möglich, daß es inzwischen fast viermal so viele Soldaten gibt.

„Das Militär rekrutiert irgendwelche Leute, läßt sie zehn Tage herumrennen, damit sie physisch fit sind und dann werden sie auf die Hügel losgelassen“, faßt ein Mitarbeiter einer ausländischen Hilfsorganisation die Lage zusammen. Ein anderer, selbst ein Ruander, meint: „Die Busse und Sammeltaxis an den Straßensperren werden nicht nur auf Waffen hin untersucht, sondern auch auf Deserteure. Es gibt viele Deserteure.“

Verzögerungen bei der Auszahlung des Solds haben zu einem rapiden Anstieg der Kriminalität geführt: An mehreren Überfällen auf ausländische Organisationen in den letzten Wochen waren Augenzeugen zufolge Soldaten in Uniform beteiligt. Gegen Armeeangehörige, denen kriminelle Delikte zur Last gelegt werden, wird derzeit vor einem Militärgericht in Kigali verhandelt.

Hartnäckig halten sich in Ruanda Gerüchte, denen zufolge der Auflösung der Flüchtlingslager im Südwesten des Landes ein Machtkampf innerhalb der Streitkräfte vorausgegangen war. Paul Kagame, ehemals Oberkommandierender der RPF und heute Vizepräsident, gilt als der mächtigste Mann im Land – zu dem Blutbad in Kibeho Stellung zu nehmen, überließ er jedoch anderen Politikern. Bettina Gaus