Krieg mit Geheimabkommen?

Der Ablauf der kroatischen Offensive gegen Truppen der Kajina-Serben wirft die Frage auf, ob sich Slobodan Milošević und Franjo Tudjman zuvor insgeheim verständigt haben  ■ Von Erich Rathfelder

Split (taz) – Auch gestern heulten in der kroatischen Hauptstadt Zagreb die Sirenen. Angesichts der seit drei Tagen stattfindenden Bombenangriffe zeigt die Bevölkerung erstaunliche Disziplin. Die KroatInnen sind sich der Gefahr bewußt, die der neue Krieg in Kroatien für sie persönlich heraufbeschwört. Nach den Drohungen des militärischen Führers der Krajina-Serben Milan Martic, auch die Städte Sisak, Karlovac, Zadar oder Split beschießen zu lassen, falls die kroatische Seite eine weitere Aktion plane, gibt es wohl kaum einen sicheren Platz in Kroatien mehr. Und dennoch scheint kaum jemand gegen den jetzigen Kurs der Regierung zu opponieren.

Der Ablauf der den Angriffen auf Zagreb vorhergegangenen kroatischen Militäraktion gegen die Krajina-Serben wirft jedoch Fragen auf, die erhebliche politische Konsequenzen mit sich bringen können. So verwundert, warum die Operation offensichtlich ohne große Kämpfe vonstatten ging. 2.000 kroatischen „Polizisten“ soll es gelungen sein, 5.000 serbisch-krajinische Soldaten gefangenzunehmen oder in die Flucht zu schlagen. Sicherlich nutzte den Kroaten der Überrasschungseffekt ihrer Aktion. Daß die eingeschlossenen serbischen Einheiten in Pakrac sich untereinander beschossen, weist auf den „Kampf zweier Linien“ bei den Serben hin. Daß sie dann schließlich unter Mitnahme ihrer Handfeuerwaffen und unter Vermittlung der UNO geordnet ins serbisch-besetzte Gebiet überführt worden sind, ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Wenn dies nur über den Druck der UNO erklärlich wäre, ist zu fragen, warum die Weltorganisation nicht auch gegenüber gefangenen Muslimen in Bosnien so aufgetreten ist.

In Zagreb und Split, in Sarajevo und Tuzla werden diese Fragen mit dem Verdacht beantwortet, es existiere ein geheimes Abkommen zwischen den Präsidenten Restjugoslawiens und Kroatiens, Slobodan Milošević und Franjo Tudjman. Übereinstimmend meinen diese Stimmen, Milosevic sei damit einverstanden, Westslawonien und die Krajina den Kroaten zu überlassen. Im Gegenzug wäre Tudjman damit zufrieden, Ostslawonien, den Serben ganz zu überlassen oder ein unbegrenztes Mandat der UNO dort zu dulden.

Der Einwand, Milošević würde bei einem solchen Geheimabkommen viel verlieren und sich bald der Kampagne der eigenen Extremisten ausgesetzt sehen, wird mit zwei Argumenten entkräftet. Erstens habe Milošević schon die gefährlichsten Extremisten, Vojislav Seselj und Arkan, im letzten Jahr politisch ausgeschaltet. Und er sei zu den bosnischen Serbenführern Karadžić wie Milan Martic in der Krajina schon seit längerem auf Distanz gegangen. Zweitens könnte dieses Abkommen ebenfalls beinhalten, daß die Kroaten in Bosnien-Herzegowina keinen Finger für die Unterstützung der militärischen Aktivitäten der bosnischen Armee zur Rückeroberung Bosniens rühren, es sei denn, eigene Interessen wären berührt. Wenn die Kroaten aber in Bosnien still halten, kann es keine gemeinsame kroatisch-bosnische Operation zur Eroberung des serbischen Korridors bei Brčko geben. Und darauf käme es Milošević an, denn dann könnte wenigstens ein Teil der eroberten Gebiete in Bosnien- Herzegowina und in Kroatien an Serbien angebunden werden.

Träfe diese Analyse zu, dann wäre das Ziel einer nächsten kroatischen Operation die Krajina mit der Hauptstadt Knin. Die Reaktion Miloševićs – der sich von der Beschießung Zagrebs mit dem Satz, die Zivilbevölkerung zu beschießen sei barbarisch, absetzte – muß den Führern der Krajina und der bosnischen Serben in der Tat Unbehagen bereiten. Denn existierte ein Geheimabkommen zwischen Tudjman und Milošević, müßten diese Serbenführer fürchten, von Milošević fallengelassen zu werden.