Guten Tag, Eure Heiligkeit

■ Nach langem Zögern rang sich Außenminister Kinkel zum Treffen mit dem Dalai Lama durch

Bonn (taz) – In Bonn geschehen Zeichen und Wunder: Klaus Kinkel (FDP) hat gestern als erster deutscher Außenminister offiziell den Dalai Lama empfangen. Das weltliche Oberhaupt der Tibeter wird außerdem am 19. Juni im Bundestag zu Besuch sein, wenn die schon lange geplante Anhörung zur Lage in Tibet auf der Tagesordnung steht. Darauf verständigten sich gestern die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses und des Unterausschusses für Menschenrechte.

Noch im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung mit Rücksicht auf die Regierung in Peking jeden Kontakt mit dem im Exil lebenden Nobelpreisträger vermieden. Bei seinem mehrtägigen Besuch traf das Oberhaupt des seit 1949 von China besetzten Landes nun unter anderem mit Bonner Fraktionsvorsitzenden, mit Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) sowie mit Kanzleramtsminister Bohl (CDU) zusammen und sprach vor dem hessischen Landtag. Der Dalai Lama beklagte schwere Menschenrechtsverletzungen und die Zerstörung der Umwelt in seiner Heimat sowie die „gewollte und ungewollte, aber gezielte Zerstörung der kulturellen Identität des tibetischen Volkes“. Als Hauptursache nannte er den großen Zuzug von chinesischen Siedlern, wodurch Tibeter in manchen Teilen ihres Landes bereits zur Minderheit geworden seien.

An deutsche Politiker appellierte der Dalai Lama, seine Anstrengungen zu einem Dialog mit der chinesischen Regierung zu unterstützen. Die lehnt nach seinen Angaben solche Gespräche mit dem Argument ab, er beanspruche nicht nur die geistige, sondern auch die politische Führung Tibets. Dagegen erklärte der Gast in Bonn, der seinem Volk als Gottkönig gilt, er gehe ohne jede Vorbedingung in ein solches Gespräch. Seine Politik ziele nicht auf eine Loslösung Tibets vom chinesischen Staatsverbund.

Die chinesische Regierung kritisierte das Treffen mit Kinkel und warnte vor einer Beeinträchtigung der Beziehungen. In der vergangenen Woche hatte bereits der chinesische Botschafter in Bonn protestiert. Kinkel erklärte gegenüber dem Gast, die Bundesregierung stelle die territoriale Integrität Chinas nicht in Frage und lege großen Wert auf die „guten und intensiven Beziehungen“ zu China, dränge aber auf Respektierung religiöser und kultureller Autonomie sowie auf Beachtung der Menschenrechte. Hans Monath Seite 10