Hoffen auf den Verpackungs-Selbstläufer

■ Kaum Werbung der Agenturen für die Christo-Aktion / Drei Millionen Besucher prognostiziert der Künstler / Bannmeile um den Reichstag soll die Aura der Kunst schützen

Die Idee klang gut. Um Schulklassen zur Christo-Verpackung nach Berlin zu locken, sollten Turnhallen in Schlafstätten umgewandelt werden. Zehn Mark pro Übernachtung und Schüler – ein Spottpreis. Doch die Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) mußte das ehrgeizige Projekt im Februar wieder abblasen. „Wir hatten mehr erwartet, aber der Rücklauf war lau“, erzählt BTM- Sprecher Gerhard Buchholz. Ein böses Omen? Droht die Christo- Verpackungsaktion vom 17. Juni bis 6. Juli eine Pleite zu werden wie kürzlich der Umweltgipfel im Internationalen Congress Centrum?

Wohl kaum, wenn man dem Optimismus glaubt, den die Hotel- und Gaststätten-Innung verbreitet. „Wir sind froh, daß es mal wieder ein Ereignis gibt, mit dem sich die Stadt positiv verkaufen läßt“, meint Innungs-Sprecherin Sabine Kalkmann. Die Hotels der Stadt meldeten für diesen Zeitraum überwiegend „sehr gute“ Besucherzahlen. Viele Reisende würden ihren Abstecher an den Reichstag offenbar mit dem am 23. Juni stattfindenden DFB-Endspiel im Olympia-Stadion verbinden.

Trotz des Weltereignisses wurde auf internationale Werbeaktionen fast vollständig verzichtet. Die BTM, für deren finanzielle Ausstattung die Riege der Berliner Großhotels durch eine freiwillige Bettenabgabe sorgt, verteilte zwar kürzlich auf der Internationalen Tourismus-Börse 50.000 Exemplare einer 16seitigen Info-Broschüre, mit dem die Besucher über Routen zum Reichstag, Parkplätze und Sehenswürdigkeiten mannigfacher Art informiert werden. Außer diesem sogenannten „Christo- Flyer“ wird es aber keine größere Werbeaktion geben.

„Spezielle Anzeigen in in- und ausländischen Großstädten wären rausgeschmissenes Geld, die Veranstaltung ist doch ein Selbstläufer“, glaubt BTM-Sprecher Buchholz. Allerdings wurden Informationen über die Christo-Aktion mit Beginn der BTM-Tätigkeit im letzten Herbst über die „Deutsche Zentrale für Tourismus“ in Frankfurt am Main an rund 20 Auslandsbüros weitergeleitet.

Die vom heimlichen Schloßattrappen-König Wilhelm von Boddien geführte Agentur „Partner für Berlin“, der Nachfolgegesellschaft der Olympia-Marketing GmbH, wird zwar mit der Grundkreditbank eine Christo-Ausstellung sponsern. Doch in ihrer Plakataktion, mit der Müllmänner, Bauarbeiter oder Krankenschwester penetrant gute Laune verbreiten, taucht das Thema Verpackungskünstler nicht auf.

Wie stiefmütterlich mit dem Werbeprodukt Berlin umgegangen wird, spiegelt nicht nur die Konkurrenz von „Partner für Berlin“ und BTM, sondern auch die knappen Kassen beider GmbHs wider. „Medienraum zu kaufen“, so BTM-Sprecher Buchholz, „ist einfach zu teuer“. Weil in Berlin schon so viel versprochen wurde, was letzten Endes als Flop endete, wird nun eine Selbstbescheidenheit gepflegt, die für hiesige Verhältnisse neu ist. Bei Schätzungen über Besucherzahlen hält sich die BTM lieber an die Prophezeiung des bulgarischen Großmeisters. Der hatte die Marge für die Hauptstadt auf drei Millionen angesetzt.

Verdient werden soll allemal: Die Inter-Continental-Hotels werden zusammen mit dem Deutschen Reisebüro (DER) ein zweistöckiges VIP-Zelt für 200 Personen an der Straße des 17. Juni aufstellen. Und die SPD-Bürgermeister von Kreuzberg und Mitte, Peter Strieder und Gerhard Keil, wollen das Happening zur Selbstdarstellung ihrer Bezirke nutzen: Unter dem Stichwort „Summertime“ koordiniert ein Büro in der Oranienburger Straße eine Palette von alternativen Veranstaltungen – vom Klassikkonzert auf dem Gendarmenmarkt bis hin zum Spaziergang durch die Jazzgeschichte in der Kreuzberger Bergmannstraße.

Der Künstler will allerdings rund um sein Mammut-Werk vom schnöden Kommerz nichts sehen, riechen und hören. Die Besucher sollen sich am verpackten Reichstag allein erfreuen. Dafür wird eine Bannmeile von mehreren hundert Metern sorgen, in der weder Bulletten noch Werbematerial verkauft werden dürfen. Severin Weiland