„Nie wieder Spaltung und Bruderkampf!“

■ taz-hamburg-Serie, letzter Teil: Die Gründung einer sozialistischen Einheitspartei durch Hamburger Sozialdemokraten und Kommunisten scheitert Von Bernhard Röhl

Die Sozialistische Freie Gewerkschaft (SFG) scheiterte Ende Juni 1945 an der Militärregierung und älteren Gewerkschaftsfunktionären aus der Weimarer Republik, die eine „unpolitische“ Gewerk-schafts-bewegung aufbauen wollten. Die jüngeren Gewerkschafter suchten nach der Enttäuschung jetzt die parteipolitische Betätigung.

Die sowjetische Besatzungsmacht gestattete am 10. Juni 1945 die Bildung von antifaschistischen Parteien, Gewerkschaften und Organisationen. Einen Tag später veröffentlichte die KPD in Berlin ihren Aufruf, in dem sie betonte, es sei nicht beabsichtigt, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, sondern es solle eine parlamentarisch-demokratische Umbildung beginnen. Am 15. Juni 1945 folgte der Aufruf der SPD in Berlin, in dem „Sozialismus in Wirtschaft und Gesellschaft“ gefordert wurde.

In Hamburg mußten Menschen, die eine politische Partei gründen wollten, illegal zusammenkommen. Am 24. Juni 1945 trafen sich frühere Funktionäre der KPD zu Gesprächen über politische Perspektiven ihrer Partei. Zu ihnen gehörte Fiete (Friedrich) Dettmann (1897-1970), vor 1933 Bürgerschaftsabgeordneter. Er war von 1935 an in Haft gewesen und am 7. Mai 1945 aus dem Zuchthaus Waldheim befreit worden. Weitere Teilnehmer waren Paul Tastesen (1899-1974), ebenfalls Bürgerschaftsabgeordneter bis 1931 und eingekerkert, der in Buchenwald befreite Willi Grünert und Fiete Dethlefs. Die Gruppe beschloß, Dettmann zum politischen Leiter der KPD-Bezirksorganisation anzuerkennen.

Zwei Tage später trafen sich Sozialdemokraten mit dem früheren Vorsitzenden der SPD in der Hansestadt, Karl (Jackie) Meitmann. Meitmann, Walter Schmedemann, Adolf Keilhack, Gustav Dahrendorf und weitere Mitglieder des SPD-Landesvorstandes waren am 11. Juni 1933 – vor dem Verbot der Partei – auf Befehl des „Gauleiters“ Kaufmann verhaftet und in den Großen Bleichen schwer mißhandelt worden. Auch in dieser Runde waren die meisten Teilnehmer Mitglieder der SFG gewesen.

Kurz darauf gab es ein erstes Treffen von Vertretern beider Parteien. Man einigte sich darauf, einen paritätisch zu besetzenden Aktionsausschuß zu gründen. Am 2. Juli 1945 konstituierte sich dieses Gremium, dem die Sozialdemokraten Karl Meitmann, Walter Schmedemann, Ernst Tessloff, Willi Elsner und Lorenz Borchers angehörten. Fiete Dettmann, Willi Grünert, Fiete Dethlefs, Paul Tastesen und Johann Westphal waren die Vertreter der KPD.

Ein Redaktionsausschuß sollte ein gemeinsames Aktionsprogramm formulieren. Diese Aufgabe übernahmen Meitmann, Tessloff, Tastesen und Erich (“Vatti“) Hoffmann von der KPD, Spanienkämpfer und politischer Häftling. Hoffmann – schon vor 1933 Redakteur der Hamburger Volkszeitung – wurde 1946 Chefredakteur dieser Zeitung.

Am 23. Juli fand auf dem Ohlsdorfer Friedhof eine Trauerfeier für die an den Folgen der KZ-Haft verstorbene kommunistische Widerstandskämpferin Magda Thürey statt. An ihrem Grab reichten sich Karl Meitmann und Fiete Dettmann die Hände und schworen, „den Bruderkampf niemals wieder aufleben zu lassen“. Sie versprachen auch, die „Sozialistische Einheitspartei als den besten Hort der Demokratie in Deutschland herzustellen“. Hunderte Sozialdemokraten und Kommunisten nahmen an dieser ergreifenden Zeremonie teil. Am 2. August 1945 wiederholte sich das Versprechen für die Einheit bei der Beerdigung des Sozialdemokraten Rudolf Seewald. Die mündlichen Versprechen vor Zeugen für die Einheit der Arbeiterbewegung mündeten in einem zusammen beschlossenen Aktionsprogramm vom 24. Juli, das die zehn Mitglieder des Aktionsausschusses unterschrieben.

„Die blutige Lehre der 12jährigen Hitler-Diktatur im Inneren, des Hitler-Krieges nach außen und seiner großen sozialen Umwälzungen heißt für alle schaffenden Männer und Frauen eindeutig: ,Einigkeit! Einheit! und nie wieder Spaltung und Bruderkampf!'“, schrieben die Verfasser. Damals war noch die Erinnerung daran lebendig, daß das Hitler-Regime hätte verhindert werden können, wenn sich die Geg-ner gemeinsam dagegen gewehrt hätten. In diesem Sinne stand im „Aktionsprogramm“ zu lesen: „In den Millionen Anhängern der sich einst bekämpfenden deutschen Arbeiter-Parteien lebt dieser Wille zum Zusammenschluß in einer einheitlichen, machtvollen politischen Partei als das bedeutsame Ergebnis ihres gemeinsamen Leidens.“

Am 6. August kündigte die britische Militärregierung an, sie sei bereit, die Bildung demokratischer politischer Parteien in ihrer Besatzungszone zu fördern. Es sollte aber noch bis zum 21. November dauern, bis SPD, KPD, CDU und FDP zugelassen wurden. Am selben Tag diskutierte der Aktionsausschuß die Frage einer Einheitspartei. Und schon bei diesem Treffen wurde ein entscheidender Meinungsunterschied deutlich: Während die SPD-Vertreter den Zeitpunkt für eine gemeinsame Parteigründung präzise festlegen wollten, beharrten die KPD-Vertreter darauf, daß beide Parteien zunächst ihre Mitglieder organisieren, eine ideologische Klärung herbeiführen und dann die Aktionseinheit schaffen sollten.

Am 11. und 12. August kam der frühere SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher – der rund zehn Jahre KZ-Haft hatte ertragen müssen – nach Hamburg. Er referierte im „Republikanischen Hof“ in Altona, wobei er eine prinzipiell antikommunistische Position vertrat und Aktionseinheit wie Einheitspartei scharf ablehnte. Schumacher sollte als Beauftragter der SPD in Hannover eine überregionale Parteiorganisation aufbauen.

Dennoch unterzeichneten die zehn Mitglieder des Aktionsausschusses am 20. August 1945 den gemeinsamen Appell „Sozialdemokraten! Kommunisten! Hamburgs“. Darin hieß es u. a.: „Es kommt darauf an, die beiden großen Arbeiterparteien in kürzester Frist beschluß- und aktionsfähig zu machen. Mit dieser Arbeit treten die beiden Parteien in einen friedlichen Wettbewerb, von dem es abhängt, daß ein großes erstes Ziel schnellstens erreicht wird. Die beiden provisorischen Leitungen sind sich darin einig, daß als erste und dringlichste Aufgabe erreicht werden muß, der Zusammenschluß beider Richtungen in einer einzigen Sozialistischen Partei! (...) Der Zusammenschluß selbst soll erfolgen durch freie Abstimmung der beschlußfähigen Mitgliedschaften. Er erhält seine Massenbasis in der innerparteilichen Demokratie(...)

Mitte September legte die KPD dann den „Entwurf einer Diskussionsgrundlage zur Erzielung der ideologischen Klarheit in KP und SP“ vor. In acht Punkten waren darin die Voraussetzungen für die Vereinigung beider Parteien zusammengefaßt. So hieß es u.a., die Mitglieder hätten „für die Anerkennung der Sowjetunion als Bollwerk des Sozialismus“ einzutreten. Es sei „Verständnis für das russische Brudervolk und die Freundschaft zu den Lehren seiner Staatslenker“ zu wecken. Der demokratische Zentralismus habe als innerparteiliche Organisationsgrundlage zu gelten.

Zwei Wochen später antwortete der Sozialdemokrate Meitmann auf den Entwurf. Er ließ sich nicht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung ein, sondern betonte die Prioriät eines zunächst eigenständigen Parteiaufbaus von SPD und KPD. Ziel blieb für ihn die Einheitspartei. Doch mit dieser Position war Meitmann in der SPD bereits weitgehend isoliert. Das zeigte sich deutlich auf der ersten überregionalen Parteikonferenz der Sozialdemokraten in Wennigsen bei Hannover vom 5. bis 7. Oktober.

Und so wurde die Versammlung des Aktionsausschusses von SPD und KPD am 13. Oktober 1945 zu seiner letzten Sitzung. Das Gremium wurde offiziell nicht aufgelöst, aber die Vertreter der SPD erschienen nicht mehr zu den von der KPD vorgeschlagenen Terminen.

In seinem Buch „Sozialdemokratie und Kommunismus – Die Politik der SPD und der KPD in Hamburg 1945-49“ meint Holger Christier über das Scheitern der Ein-heitsbestrebungen in Hamburg u. a.: „Durch ihre Weigerung, den Zusammenschluß sofort zu vollziehen, verursachte die KPD genau die Verzögerung, die die vereinigungsfeindlichen Kräfte in Hannover (...) benötigten, um ihre eigene Basis in Deutschland zu konsolieren und ihre Fühler auch nach Hamburg auszustrecken.“ Es sei nicht auszuschließen, daß eine faire und erfolgreiche Arbeit einer Einheitspartei in Hamburg eine so starke Wirkung auf andere Bezirke ausgeübt hätte, daß „Widerstand gegen Schumacher möglich gewesen wäre“, konstatiert der Verfasser.

Paul Tastesen stellte in einem Artikel in der Zeitschrift Weg + Ziel, dem Funktionärsorgan der KPD, u. a. fest: „Die Kommunisten werden sich aber selbst prüfen, welche Fehler und Unterlassungen ihrerseits zu einer Schwächung der Einheitsbewegung geführt haben.“

Dennoch wurden im Herbst 1945 zwei Kommunisten in den ersten Senat Hamburgs nach dem Krieg berufen: Franz Heitgres als Senator für Wiedergutmachung und Flüchtlingswesen und Fiete Dettmann als Gesundheitssenator. Der damals noch parteilose Bürgermeister Rudolf Petersen berichtete später, er sei gegenüber der Militärregierung dafür eingetreten, auch Kommunisten in den Senat aufzunehmen, weil er Wert darauf gelegt habe, daß möglichst alle Parteien dort vertreten seien.

Während Franz Heitgres nur ein gutes Jahr – bis zur Bürgerschaftswahl 1946 – amtierte, blieb Dettmann auch unter dem SPD-Bürgermeister Max Brauer im Senat: Die KPD hatte bei der Wahl 10,4 Prozent erhalten. Doch er überstand die Legislaturperiode nicht: Am 2. Juli 1948 weigerte er sich, einer „Hilfsaktion für Berlin“ beizutreten und stimmte auch gegen eine Entschließung der Bürgerschaft zur Berlin-Blockade Stalins. Die Berlinkrise war jedoch nur ein Vorwand, um den mißliebigen KPD-Senator durch ein von CDU und FDP eingebrachten Mißtrauensantrag loszuwerden.

Die Arbeit Fiete Dettmanns wurde später von Karl Meitmann und dem FDP-Politiker Willy Max Rademacher in der Bürgerschaft gelobt. Doch der Verfechter für die Einheit der Arbeiterklasse war mittlerweile auch in seiner Partei umstritten. Aufgrund interner Konflikte veranlaßte die KPD im Jahre 1951, daß der frühere Senator in die DDR ausreisen mußte, er starb 1970 in Stralsund.