Mir hat's doch jeder angesehen

Auch Gerhard Gundermann, „Dylan des Tagebaus“ und Sprachrohr ostdeutschen Selbstbewußtsein, war unter dem Decknamen „Grigori“ Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. „Frag hart“, fordert er heute, wo seine Akte vorliegt  ■ Von Steve Körner

Der Tag war noch fern. Irgendwo hinter der nächsten oder übernächsten Platte, hinter der laufenden oder der geplanten Tournee lag er und störte weiter nicht. Doch daß er kommen würde, hat Gerhard Gundermann ganz genau gewußt. „Wenn mich jemand nach der Sache gefragt hat“, meint er, „habe ich ja die Wahrheit gesagt.“

Gundermann, Sänger, Texter, Liedermacher, den Freunde bloß „Gundi“ rufen, war acht Jahre lang im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit tätig. „Ich bin bereit, alle mir übertragenen Aufgaben gewissenhaft zu realisieren“, schrieb er in seine Verpflichtungserklärung, „zur Wahrnehmung der Konspiration wähle ich mir den Decknamen ,Grigori‘.“

Seiner Frau Conny hat „Grigori“ alles vor langer Zeit erzählt; der Chef seiner Plattenfirma und die Freunde von der Rockband Silly haben es gleich nach der Wende erfahren. Auch die Musiker seiner Band „Seilschaft“ wissen Bescheid – schließlich sollten die klar sehen, „warum sie vielleicht mal ein paar faule Eier an den Kopf geknallt kriegen“. Gewundert haben sich alle. Groß gefragt hat niemand. Gegangen ist keiner. „Und damit“, denkt der Mann mit dem dünnen Blondhaar und der großen Brille, „war die Geschichte für mich erst mal vergessen.“

Eine Geschichte, die er selbst nicht versteht, die heute aber in einer eigentümlichen Mischung aus Reue und Trotz aus ihm herausfließt. „Frag hart“, fordert er. Gundi ist bereit, Buße zu tun, zur Not auch plakativ.

Ausgerechnet Gundermann

Leicht ist das nicht. Eine „richtige Aufarbeitung“, zu diesem Schluß jedenfalls ist Gundermann in sechs Jahren Nachdenkens über sich und die Staatssicherheit gekommen, funktioniert nur im Raum DDR. „Die DDR ist aber weg – verdammt, wie soll man da jetzt noch erklären, wie das alles war?“

Aber die Akte, von der er immer so „eine ganz harmlose Ansicht“ hatte, ist draußen. 500 Seiten mit gar nicht so harmlosen Berichten zu Kollegen, mit Hintergrundinformationen über die DDR-Musikszene und Hinweisen zu illegalem Geldwechsel im nichtsozialistischen Ausland. Es hilft alles nichts: Nach dem Radiomoderator Lutz Bertram, der der Stasi als „Romeo“ zu Diensten war, nach dem Lyriker Sascha Anderson, der von Biermann als „Sascha Arschloch“ wurde, und dem Puhdys- Mitglied Peter Meier nun auch noch Gundermann.

Ausgerechnet Gundermann. Der „Dylan aus dem Tagebau“, der nach seiner letzten Platte „Der 7te Samurai“ als „vielleicht originärster ostdeutscher Rocksänger“ gelobt und von zahllosen Fans als eine Art Sprachrohr ostdeutschen Selbstbewußtseins begriffen wurde; Gundermann, der sich beharrlich weigert, seinen Schichtjob als Baggerfahrer im Tagebau Welzow aufzugeben, um „mich nicht künstlerisch abhängig zu machen von dem Geld, das ich mit der Musik verdiene“; Gundermann, der Unbestechliche, zu DDR-Zeiten in stetem Streit mit der Partei, von Kulturbehörden beargwöhnt und von Zeitungen totgeschwiegen. 5.000 Platten hat er in der ersten Woche nach dem Erscheinen von „Samurai“ allein in Berlin verkauft. Im Vorprogramm von Dylan gespielt. Und das ZDF hat ihn letztens als Live-Act für eine Talk-Show engagiert, die hieß „Akten zu?“. Gundi mußte bloß singen. Geredet hat er nicht.

Der Verein, wo die Guten spielen

Angefangen hat es an einem Septembertag im Jahr 1976. Sechs Tage zuvor hatte die MfS-Bezirksverwaltung Cottbus beschlossen, Gundermann „anzuwerben“. Zur „Klärung eines Sachverhalts“ wurde das damalige Mitglied im FDJ-Singeklub der Stadt Hoyerswerda zum Abschnittsbevollmächtigten (ABV) seines Wohnbezirks bestellt. Dort wartete allerdings nicht der ABV, sondern Georg Stasch, Unterleutnant des MfS. Für Gundermann, überzeugtes SED-Mitglied, aktiver FDJler und Mitte der Siebziger tief durchdrungen vom grenzenlosen Glauben an den unausweichlichen Sieg des Sozialismus, keine große Sache. „Die waren doch für mich der Verein, wo die Guten spielen“, erinnert sich der Sänger, „ich dachte doch damals, die DDR ist so eine Art belagerte Festung.“ Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, argumentierte auch Stasch: „Und du, Genosse, bist doch für uns, oder?“

Gundermann sieht sich als Romantiker, der alle Zweifel niederkämpft. Schon als Junge wollte er für die Sache der Revolution arbeiten. Bei der Berufsberatung gibt er an, Agent werden zu wollen. Da das nicht so einfach geht, meldet er sich für die Offiziershochschule. Berufswunsch: Politoffizier. In Löbau, wo Offiziersschüler Gundermann und seine Genossen zur Begrüßung zwei Stunden Einrücken und Ausrücken aus der Unterkunft exerzieren, kollidieren Anspruch und Wirklichkeit zum ersten Mal. „Du kommst da hin, um den Sozialismus zu beschützen, und die lassen dich wie einen Idioten mit dem Koffer rumrennen.“

Einige Auseinandersetzungen später fliegt er von der Schule. „Ich konnte nicht richtig schießen, ich konnte nicht SPW [Schützenpanzerwagen; d. Red.] fahren, und als Politoffizier wollten sie mich dann nicht mehr.“ Gundermann wird gefeuert. Immer noch romantisch, beschließt er, in die Produktion zu gehen. „Ich wollte an der geistigen und an der materiellen Produktion beteiligt sein.“ Gundermann macht Wechselschichten auf der Förderbrücke eines Braunkohlebaggers in Welzow und tritt zwischendurch mit dem Hoyerswerdaer Singeklub auf. Dabei eckt der Gerechtigkeitsfanatiker immer wieder bei Partei und FDJ an. Er beschwert sich über fehlende Kochmöglichkeiten für die Kollegen auf dem Bagger, legt sich mit der Parteibürokratie an, die „mit Riesenaufwand bloß Kinderkacke produziert“.

Schriftlich und in guter Qualität

Da kam die Stasi gerade recht. „Ich habe mir eingebildet, daß ich über die Stasi-Strecke irgendwie gegensteuern kann.“ Gundermann ist ein guter Spitzel, so zumindest sehen es seine Führungsoffiziere, die er alle zwei Wochen in der konspirativen Wohnung „Hildegard“ trifft. Gundermann besorgt Briefe von Freunden und gibt sie dem MfS zur Durchsicht, er meldet zwei Singeklub-Kollegen, die sich ein Paar Sprechfunkgeräte aus dem Westen mitgebracht hatten, und er teilt dem Sicherheitsorgan fürsorglich auch alles mit, was er über die intimen Kontakte einer Bekannten zu einem französischen Bauarbeiter weiß.

„Arrogant, anmaßend, abstoßend“ findet er seine Petzberichte heute. Aber die Stasi war zufrieden. Gundermann liefere „grundsätzlich in schriftlicher Form und sehr guter Qualität“, schätzt Leutnant Stasch ein. Der IM sei „ehrlich und zuverlässig“, seine Berichte, hauptsächlich bestehend aus miesem Klatsch, weitergetratschten Gerüchten und bösen Verleumdungen, werden als „umfassend, sachlich und objektiv“ gelobt. Ein Mann mit Zukunft, klug und weltfremd.

Nach einigen kleineren Aufträgen zur Überwachung von Auslandsreisen des Singeklubs, bei denen „Grigori“ sich „mächtig wichtig“ und „unheimlich geheim“ fühlt, setzt das MfS den vielversprechenden Nachwuchskader in Ungarn für eine gezielte Aktion gegen Mitglieder der sogenannten

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„kriminellen Menschenhändlerbande“ (= Fluchthelfer) Julius Lampl ein. Gundermann solle, so heißt es im sogenannten „Entsendeplan“, Kontakt zu zwei Agenten der Organisation aufnehmen und diese veranlassen, ihn in der DDR zu besuchen.

Der Plan geht schief, die Agenten riechen Lunte, weil, meint der Überzeugungstäter, „ich so ein beschissener Spion war – mir hat doch jeder angesehen, woher ich komme“.

Obstschale aus Blech

Die Stasi feiert die Pleite trotzdem als „erfolgreiche Operation“, Stasch wird befördert. Gundermann, der zum Geburtstag immer mal Präsente für 10, 20, manchmal auch für 150 Mark erhalten hat, sich aber von Anfang weigerte, Bargeld anzunehmen, bekommt diesmal eine Obstschale aus Blech als Anerkennung. Später belobigt man den „Kämpfer Grigori“ mit der „Arthur-Becker-Medaille“ in Bronze und der Erinnerungsmedaille „30 Jahre MfS“. Konspirativ verliehen, darf der „Aufklärer“ nur einen Blick auf die Plaketten werfen. Dann nimmt Stasch sie wieder mit.

Es nützt sowieso nicht mehr viel. „Es gab einen Punkt“, erzählt der „langsame Denker“ (Selbsteinschätzung), „da bin ich unheimlich sauer geworden auf die.“ Die real existierende DDR stößt Gundermann, der mit seinem Singeklub Brigade Feuerstein nach Italien, nach Schweden, in die BRD und nach Westberlin reist, immer übler auf. „Es war alles so idiotisch“, stöhnt er, der fest an die Partei als „kollektive Klugheit“ glaubt, „ich dachte immer, wenn wir Leute haben, die über Probleme reden, sehen wir zu, daß wir die Probleme loswerden – aber die schafften lieber die Leute ab.“

Wenn er heute seine Akten lese, sehe er da zwei völlig verschiedene Leute: „Der eine hat wie ein Idiot deren Aufträge ausgeführt, der andere hat immer versucht aufzuschreiben, was ihm selbst wichtig war.“ Gundermann, der nie ein persönliches Verhältnis zu seinem Führungsoffizier Stasch gehabt haben will, weil „diese MfS-Männer ja durch die Bank eine enttäuschend geringe geistige Reichweite hatten“, wies auf Planschwindel und Verstöße gegen den Arbeitsschutz hin, er kritisierte „Defizite in der Jugendarbeit“ und wetterte gegen selbstherrliche Parteifunktionäre.

Kundschafter des Guten

„Ganz und gar anvertraut“ habe er sich dem MfS, „weil ich gedacht habe, ich bin deren Partner.“ Doch die, von denen er Hilfe in seinem ständigen Clinch mit Bürokratie und Apparat erhofft, die, denen er glaubt klarmachen zu können, „was wirlich los ist da draußen“, lassen ihn „einfach auflaufen“. Gundermann klingt heute noch enttäuscht. Irgendwann hängen sie ihm sein zweites Parteiausschlußverfahren an. Und der Führungsoffizier hilft nicht, sondern mahnt Disziplin und Reue an.

Ab 1982 geht er immer seltener zu den Treffs. Der Mann, der so gern ein „Kundschafter der Guten“ gewesen wäre, begreift, „daß ich ein Spitzel war“. Nach der Armee schmeißt ihn jetzt auch die Partei raus. Das MfS folgt: Der IM habe bei den letzten Treffen nur noch die Klassiker zitiert und aus dem Statut der Partei vorgelesen. Öffentlich habe der IM die führende Rolle der Partei abgelehnt und Parteichef Erich Honecker diskreditiert. Wegen „parteifeindlicher Verhaltensweisen“, heißt es in der Akte „Grigori“ unter dem Datum vom 28. Februar 1984, sei eine weitere Zusammenarbeit nicht möglich. Und mehr noch: Da die „notwendigen Sanktionen voraussichtlich zu einer Verhärtung der Haltung des G.“ führen würden, empfehle man, Vorsorge zu treffen.

Wenig später hat Gundermann das MfS dann selbst auf dem Hals. Kämpfer Grigori wird zum Zielobjekt. Programme werden verboten, das Projekt eines privaten Klubhauses wird torpediert, Zeitungen dürfen den Namen Gundermann nicht mehr erwähnen. Ironie der Geschichte: Bespitzelt wird der Sänger nun von Leuten, die er dem MfS vorher selbst als brauchbare Mitarbeiter empfohlen hatte.

Ein, zwei Jahre Pause

Das macht es heute leichter. Bei einem ist er gewesen, den er damals „eingeschätzt“ hat, der hat ihm heute gestanden, daß er seit der Wende Angst gehabt habe, Gundi könne ihn in seiner Opferakte finden. Ein anderer wieder hat ihn „abtropfen“ lassen, einfach so. Sein gutes Recht, findet Gundermann: „Er ist ja jetzt am Zug.“

Gerhard Gundermann hat seine Lektion gelernt, sagt er. Er wolle sich nicht rausreden. Umbringen aber wird er sich nicht. Wenn ihn „nach diesem Ding“ jetzt keiner mehr hören wolle, müsse er wohl Pause machen und in ein, zwei Jahren von vorne anfangen. Obwohl er hoffe, Menschen nicht geschadet zu haben, fühle er sich heute schuldig „vor meinen Opfern, schuldig vor der Idee“. Das Prinzip Sozialismus sei auf allen Ebenen verheizt worden, nicht nur ganz oben. „Ich habe eigentlich immer in der falschen Armee gekämpft“, gesteht sich Gerhard Gundermann, „Leute wie ich haben die DDR kaputtgemacht.“