Brandstifter in Lübecks Synagoge

Unbekannte legten erneut Feuer in dem jüdischen Gotteshaus der Hansestadt und an zwei weiteren Stellen / Mahnwachen und Vorwürfe in Richtung Bonn  ■ Von Kersten Kampen und Sannah Koch

Lübeck/Kiel (taz) – „Der immaterielle Schaden ist unermeßlich“, hieß es in der Urteilsbegründung des Schleswiger Oberlandesgerichts, das die vier Synagogen-Attentäter wegen Brandstiftung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt hatte. Knapp vier Wochen nach dem Urteil legten unbekannte Täter an der Lübecker Synagoge erneut Feuer. In der Nacht zu Sonntag zündeten sie gegen zwei Uhr einen gemauerten Schuppen an, der an das jüdische Gotteshaus grenzt. Anwohner hatten den Brand bemerkt und die Feuerwehr alarmiert, die ein Übergreifen der Flammen auf die Synagoge verhinderte. Der Lagerraum brannte völlig aus. In dem Gebäude hielt sich in der Nacht zu Sonntag nach Angaben der Bundesanwaltschaft mindestens ein Mensch auf. Verletzt wurde aber niemand.

Von großer Aufregung war in der Lübecker Altstadt gestern nichts zu spüren – die Straßencafés waren voll, Spaziergänger sonnten sich auf den Parkbänken. Dennoch hatten sich rund 100 Menschen vor der Synagoge versammelt, dort Blumen auf der Mauer niedergelegt und Transparente mit der Forderung nach einem Verbot von Naziorganisationen aufgehängt.

Kohl zum Besuch aufgefordert

„Da drinnen sind jetzt einige Menschen sehr traurig“, sagte Schleswig-Holsteins Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Gerd Walter, nachdem er sich mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde getroffen hatte. Gemeinsam mit seinem SPD-Parteikollegen, dem Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller, forderte er die Bewohner der Stadt auf, die Jüdische Gemeinde nun nicht allein zu lassen. Der Bürgermeister richtete aber auch scharfe Kritik an die Bundesregierung. Dort fehle es immer noch an der nötigen Eindeutigkeit von Erklärungen gegen den Rechtsextremismus. „An dieser Eindeutigkeit hängt es, ob der rechte Sumpf leben kann oder nicht“, so Bouteiller. Gemeinsam forderten die beiden Politiker Bundeskanzler Kohl auf, Lübeck am 8. Mai einen Besuch abzustatten. „Eine Stippvisite des Kanzlers würde ein Zeichen setzen.“

Die Bundesanwaltschaft übernahm nach wenigen Stunden die Ermittlungen, wie auch schon bei dem ersten Brandanschlag auf das jüdische Gotteshaus am 25. März 1994. Zu Motiven und Tätern konnte der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Rolf Hannich, gestern noch nichts sagen. Für viele Lübecker und auch Politiker allerdings steht es fest: Es war ein rechtsradikal motivierter Anschlag. Einen Molotowcocktail, der nicht gezündet habe, soll die Polizei im Eingangsbereich der Synagoge gefunden haben.

Das Lübecker Bündnis gegen Rassismus organisierte eine Mahnwache und rief zu einer Kundgebung am Abend auf: „Um unserer Empörung und Wut über den erneuten Anschlag auf die Lübecker Synagoge Ausdruck zu verleihen, um unsere Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde zu zeigen, um endlich ein konsequentes Vorgehen gegen die Nazibanden einzufordern.“ Die Jüdische Organisation Norddeutscher Studenten (JONS) hatte am Nachmittag einen Gottesdienst angesetzt.

„Eine Schandtat“ ist für Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis der Brandanschlag. „Wer angesichts der Bilder von Judenverfolgung, Massenmord, Krieg und Konzentrationslagern, die in diesen Tagen jeder sieht, zu einer solchen kriminellen Tat fähig ist, muß geistig verroht sein“, meinte die SPD-Politikerin.

Die Lübecker Feuerwehr hatte in der Nacht von Samstag auf Sonntag durch Brandstifter noch weitere Arbeit. In der Lübecker Altstadt, Hundestraße 92, war fast zeitgleich mit der Synagoge ein Brand ausgebrochen – dort mußten zwölf Bewohner evakuiert werden, einige erlitten Rauchvergiftungen. In der Lübecker Szene wird ein Zusammenhang zwischen den beiden Anschlägen vermutet. In der Hundestraße leben einige Mitglieder des Lübecker Bündnisses gegen Rassismus, ein Mitglied sei vor drei Wochen telefonisch mit den Worten „Wir brennen bald die ganze Hundestraße ab“ bedroht worden. Das dritte Feuer war in der Phoenix-Halle, einem Sportzentrum gelegt worden.

Urteile waren nicht abschreckend

Im Prozeß um den Brandanschlag auf die Synagoge im letzten Jahr vor dem Oberlandesgericht in Schleswig hatte die Bundesanwaltschaft für die drei Haupttäter mehrjährige Haftstrafen wegen fünffachen versuchten Mordes gefordert. Doch der zweite Strafsenat hatte die vier Männer im Alter zwischen 20 und 25 Jahren zu Strafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren verurteilt. Den Männern, die aus einer rechtsradikalen und antisemitischen Grundhaltung heraus den Anschlag verübt hatten, konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, daß sie wußten, daß das Gebäude bewohnt war.

Wie ein roter Faden hatte sich der juristische Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ durch das Urteil gezogen. Denn neben der Schwere der Tat standen die mitleidserregenden Lebensläufe der Täter. Ein Sozialarbeiter aus Lübeck hatte bereits vor dem Urteil eine bittere und, wie sich jetzt zeigt, treffende Bilanz gezogen: Das Verfahren habe rechtsradikalen Wirrköpfen in Lübeck nicht den erhofften Dämpfer versetzt, sondern sie eher noch ermutigt, es den Angeklagten gleich zu tun. Es seien Randfiguren, die einmal ins Rampenlicht möchten. „Was auf Normalbürger abschreckend wirkte, stimuliert diese Jugendlichen noch.“