Brandstifter in Lübecks Synagoge

Unbekannte legten erneut Feuer in dem jüdischen Gotteshaus der Hansestadt und an zwei weiteren Stellen / Mahnwachen und Vorwürfe in Richtung Bonn  ■ Von Kersten Kampen und Sannah Koch

Lübeck/Kiel (taz) – „Der immaterielle Schaden ist unermeßlich“, hieß es in der Urteilsbegründung des Schleswiger Oberlandesgerichts, das die vier Synagogen-Attentäter wegen Brandstiftung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt hatte. Knapp vier Wochen nach dem Urteil legten unbekannte Täter an der Lübecker Synagoge erneut Feuer. In der Nacht zu Sonntag zündeten sie gegen zwei Uhr einen gemauerten Schuppen an, der an das jüdische Gotteshaus grenzt. Anwohner hatten den Brand bemerkt und die Feuerwehr alarmiert, die ein Übergreifen der Flammen auf die Synagoge verhinderte. Der Lagerraum brannte völlig aus. In dem Gebäude hielt sich in der Tatnacht nach Angaben der Bundesanwaltschaft mindestens ein Mensch auf. Verletzt wurde jedoch niemand.

100 Menschen hatten sich am Mittag spontan vor der Synagoge versammelt, dort Blumen auf der Mauer niedergelegt und Transparente mit der Forderung nach einem Verbot von Naziorganisationen aufgehängt. Berthold Katz, einziger Holocaust-Überlebender der Lübecker Juden und Kantor der Synagoge, sagte: „Ich habe nun schon drei Übergriffe auf die Synagoge erlebt – 1938, 1994 und nun diese. Mir fehlen einfach die Worte.“ Am Abend demonstrierten dann etwa 1.000 Menschen auf dem Rathausmarkt gegen Rassismus und Intoleranz. Zu der Kundgebung hatte das Lübecker Bündnis gegen Rassismus aufgerufen: „Um unserer Empörung und Wut über den erneuten Anschlag auf die Lübecker Synagoge Ausdruck zu verleihen, um unsere Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde zu zeigen, um endlich ein konsequentes Vorgehen gegen die Nazibanden einzufordern.“ Michel Friedman, der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, verlangte in seiner Rede, die geistigen Brandstifter zur Verantwortung zu ziehen. Schon am Nachmittag hatte ein Gottesdienst in der Synagoge stattgefunden, zu dem die jüdische Organisation Norddeutscher Studenten (JONS) eingeladen hatte. Mitglieder der jüdischen und christlichen Gemeinden und Kommunalpolitiker trafen dort zusammen.

Kohl zum Besuch aufgefordert

„Da drinnen sind jetzt einige Menschen sehr traurig“, sagte Schleswig-Holsteins Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Gerd Walter, nachdem er sich mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde getroffen hatte. Gemeinsam mit seinem SPD-Parteikollegen, dem Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller, forderte er die Bewohner der Stadt auf, die Jüdische Gemeinde nun nicht allein zu lassen. Der Bürgermeister richtete aber auch scharfe Kritik an die Bundesregierung. Dort fehle es immer noch an der nötigen Eindeutigkeit von Erklärungen gegen den Rechtsextremismus. „An dieser Eindeutigkeit hängt es, ob der rechte Sumpf leben kann oder nicht“, so Bouteiller. Gemeinsam forderten die beiden Politiker Bundeskanzler Kohl auf, Lübeck am 8. Mai einen Besuch abzustatten. „Eine Stippvisite des Kanzlers würde ein Zeichen setzen.“

Die Bundesanwaltschaft übernahm nach wenigen Stunden die Ermittlungen, wie auch schon bei dem ersten Brandanschlag auf das jüdische Gotteshaus am 25. März letzten Jahres. Zu Motiven und Tätern konnte der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Rolf Hannich, gestern noch nichts sagen. Für viele Lübecker und auch Politiker allerdings steht es fest: Es war ein rechtsradikal motivierter Anschlag. Einen Molotowcocktail, der nicht gezündet habe, soll die Polizei im Eingangsbereich der Synagoge gefunden haben.

„Eine Schandtat“ ist für Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis der Brandanschlag. „Wer angesichts der Bilder von Judenverfolgung, Massenmord, Krieg und Konzentrationslagern, die in diesen Tagen jeder sieht, zu einer solchen kriminellen Tat fähig ist, muß geistig verroht sein“, meinte die SPD-Politikerin.

Die Lübecker Feuerwehr hatte in der Nacht von Samstag auf Sonntag durch Brandstifter noch weitere Arbeit. In der Lübecker Altstadt, Hundestraße 92, war fast zeitgleich mit der Synagoge ein Brand ausgebrochen – dort mußten zwölf Bewohner evakuiert werden, einige erlitten Rauchvergiftungen. In der Lübecker Szene wird ein Zusammenhang zwischen den beiden Anschlägen vermutet. In der Hundestraße leben einige Mitglieder des Lübecker Bündnisses gegen Rassismus, ein Mitglied sei vor drei Wochen telefonisch mit den Worten „Wir brennen bald die ganze Hundestraße ab“ bedroht worden. Das dritte Feuer war in der Phoenix-Halle, einem Sportzentrum, gelegt worden.

Urteile waren nicht abschreckend

Im Prozeß um den Brandanschlag auf die Synagoge im letzten Jahr vor dem Oberlandesgericht in Schleswig hatte die Bundesanwaltschaft für die drei Haupttäter mehrjährige Haftstrafen wegen fünffachen versuchten Mordes gefordert. Doch der zweite Strafsenat hatte die vier Männer im Alter zwischen 20 und 25 Jahren zu Strafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren verurteilt.

Ein Sozialarbeiter aus Lübeck hatte bereits vor dem Urteil eine bittere und, wie sich jetzt zeigt, treffende Bilanz gezogen: Das Verfahren habe rechtsradikalen Wirrköpfen in Lübeck nicht den erhofften Dämpfer versetzt, sondern sie eher noch ermutigt, es den Angeklagten gleichzutun. Es seien Randfiguren, die einmal ins Rampenlicht möchten. „Was auf Normalbürger abschreckend wirkte, stimuliert diese Jugendlichen noch.“