Ausdruck einer mangelnden Integration

■ Safter Cinar, Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, zum Medienverhalten

taz: In Deutschland lebende Türken sehen fast ausschließlich türkische Fernsehprogramme, deutsche Sender werden kaum genutzt. Gilt das auch für die dritte Generation der Einwanderer, für hier geborene Jugendliche?

Cinar: Meiner Erfahrung nach ja. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die meisten sehen die türkischen Programme.

Wie erklären Sie das?

Auch die Jugendlichen gelten faktisch und juristisch immer noch als Ausländer. Sie haben sich hier eingelebt, sie arbeiten hier, aber ihre emotionale Zugehörigkeit ist immer noch die alte Heimat ihrer Eltern, und die pflegen sie über die Fernsehsendungen. Einige sehen die türkischen Programme sogar, um ihr Türkisch zu verbessern. Das ist sicher keine bewußte Strategie, aber es hat damit zu tun, daß auch die hier geborenen ausländischen Jugendlichen nicht als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft anerkannt sind.

Das Medienverhalten als Reaktion auf die Ausgrenzung — reicht das als Erklärung aus?

Ein Grund ist sicher die verstärkte Hinwendung zur Türkei und die Suche nach Identität. Aber die Frage ist doch: Wieso vollzieht jemand, der hier geboren ist und hier arbeitet, wieder eine Rückwendung? Da muß doch hier etwas für ihn nicht in Ordnung sein.

Die türkischen Fernsehsender berichten kaum über das, was in Deutschland geschieht. Das bedeutet, daß die türkischen Einwanderer auch sehr schlecht informiert sind über die deutsche Gesellschaft und Politik.

Es gibt Jugendliche, die recht interessiert sind. Aber in der Tendenz kann man schon sagen, das Interesse ist nicht sehr groß. Sie nehmen Dinge wahr, die gerade aktuell sind, am Arbeitsplatz zum Beispiel, viele sind ja auch gewerkschaftlich engagiert. Aber ein intensives laufendes Interesse ist tatsächlich nicht vorhanden.

Vielleicht interessiert die türkische Gemeinschaft sich deshalb nicht für die deutsche Gesellschaft, weil sie gut ohne sie auskommt?

Wenn man mit den Leuten redet, merkt man, wie viele Dinge durch dieses formale Ausländersein bestimmt werden. Für normalste Schritte wie zum Beispiel eine Heirat müssen Ausländer durch zig Instanzen laufen. Man könnte sagen, um das zu überwinden, müßt ihr euch viel aktiver in die Politik einmischen, und es gibt sicher auch junge Menschen, die das machen. Aber die meisten haben sich damit abgefunden, daß sie ja doch nichts beeinflussen können: Sie können nicht wählen, sie haben sich mit den ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen arrangiert und versuchen, so zu leben.

Deutsche und Türken reden dann zwangsläufig aneinander vorbei. Wie wollen Schüler einer Klasse über das Fernsehprogramm vom Vorabend diskutieren, wenn die einen nur das deutsche und die anderen nur das türkische sehen?

Bei der heutigen Programmvielfalt sehen auch die deutschen Jugendlichen nicht alle dasselbe. Aber natürlich ist das ein Problem, denn aus dem, was man am Vortag gesehen hat, entwickeln sich wieder nationale Cliquen. Da findet kein Austausch statt. Man kann die Auswirkungen dieser getrennten Mediennutzung nicht messen, aber sie ist sicher kommunikationsverhindernd. Der Rückzug allein auf die türkischen Medien entfremdet die Menschen noch mehr von dieser Gesellschaft. Das wird sich sogar noch verstärken, wenn demnächst mehrere türkische Privatsender ins deutsche Kabelnetz kommen. Aber das Hauptproblem ist diese gefühlsmäßige Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft.

Würde etwa das Wahlrecht das Interesse an der deutschen Gesellschaft, an den Medien verstärken?

Sicher nicht von heute auf morgen. Das ist ein Problem, das sich im Laufe von dreißig Jahren entwickelt hat. Formale Rechte sind Grundvoraussetzung und Vehikel für Integration, aber sie schaffen nicht alles aus der Welt.