„Licht vertreibt Finsternis“

Das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in Berlin wurde festlich eingeweiht / Die Stimmung war leicht und gelöst, dabei wurde nur wenig vorher das Gebetshaus in Lübeck erneut angezündet  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Immer mehr festlich gekleidete Menschen drängen sich in die Neue Synagoge, eilen zu ihren reservierten Stuhlreihen auf die große mit Kies bestreute Fläche unter freien Himmel. Hier befand sich früher der Hauptsynagogenraum mit 3.200 Plätzen, in den nächsten Jahrzehnten, vielleicht für immer, wird er unbebaut bleiben, als Mahnmal an die Auslöschung des Berliner Judentums.

Der Blick über die Leerfläche auf die in Glas und Stahl gefaßte Ruine der einstigen Vorsynagoge ist schmerzhafter, als es jedes Holocaust-Denkmal sein könnte. Und dennoch, an diesem Abend des 7. Mai, an diesem Abend, an dem mit viel politischer Prominenz die Einweihung des Centrum Judaicum gefeiert wird, ist die Stimmung gelöst, ganz leicht, so als ob niemand wüßte, daß Stunden zuvor die Synagoge in Lübeck ein zweites Mal angezündet worden ist.

Aber vielleicht wissen diese Scheußlichkeit auch nur ganz wenige. Denn unter den etwa 3.000 Gästen befinden sich Hunderte vom Emigranten, die der Berliner Senat aus Amerika und Israel eigens zu diesem Ereignis eingeladen hat und die an diesem Abend schon ein großes Gedenkkonzertprogramm hinter sich haben. Die vermummten Scharfschützen auf den umliegenden Dächern und die pingeligen Sicherheitskontrollen werden sie vielleicht als allgemeine Präventivmaßnahme gegen rechtsradikalen Terrorismus interpretiert haben.

„Ich habe sehr Angst gehabt, nach Deutschland zu kommen“, sagt Michel Perlmann, 76 Jahre, heute San Diego, Kalifornien, früher Westend, Berlin. „Bei allen alten Leuten, die ich sehe, frage ich mich, was sie vor 1945 gemacht haben.“ Er sagt diesen Satz in englisch mit einem harten Akzent. Und er freut sich über die Abordnung der jüdischen Polizei aus New York, die mit einer eigenen Fahne auf den Synagogenplatz einzieht, als nachträgliche Ehrung für den deutschen Polizeiwachtmeister Wilhelm Krützfeld. In der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 fand er den Mut, die SA-Schergen zu vertreiben, die Brandschatzung zu verhindern.

Von den vielen Reden, die anderthalb Stunden lang zu hören sind, rühren drei besonders an, weil sie so persönlich sind. Fast so, als ob nicht der Bundeskanzler und die Spitzen der Verfassungsorgane in der ersten Reihe sitzen und die Einweihung so zu einem Staatsakt machen, sondern die eigenen Kinder und Kindeskinder. Der orthodoxe Rabbiner David Weisz spricht von Nächstenliebe und Herzensbildung, die zu vermitteln die Aufgabe des Centrum Judaicum sein wird. Eine Hoffnung, die für den Direktor Herman Simon eine prophetische Verpflichtung hat. In seiner Barmizwa-Feier in der Ostberliner Synagoge Rykestraße las er 1962 den Tora-Abschnitt vor, in dem es heißt: „An jenem Tag erstelle ich Davids zerfallene Hütte wieder, ich verzäune ihre Risse, ihre Trümmer stelle ich wieder her, ich baue sie wie in den Tagen der Vorzeit.“

Und eindrucksvoll auch die Rede des greisen Josef Burg, Ex- Student in Berlin, ehemaliger israelischer Innenminister und heute Vorsitzender des Internationalen Rats der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Er spricht von Hegel und der Umkehrung seines Satzes, daß wirklich ist, was vernünftig ist und vernünftig, was wirklich ist. „Wir können sagen, was grausam ist, war wirklich. Ist die Lehre aus der Geschichte der Menschheit, daß die Menschheit aus der Geschichte nichts lernt.“ Ein bitterer Satz, auch ein Satz an die Täter von Lübeck, aber mit dem versöhnlichen Ende. „Wir sprechen anders als die getretenen Juden. Als Bürger eines demokratischen Staates und zu Vertretern eines demokratischen Landes.“ Und er fügt hinzu, daß die Schrecken der Vergangenheit nicht die Hoffnung auf die Zukunft erdrücken dürfen: „Licht vertreibt Finsternis, das Alte möge sich erinnern und das Neue heilig werden.“