Synagoge ungenügend geschützt

■ Polizeiüberwachung in Lübeck war auf niedrigster Stufe / Suche nach den Tätern noch ohne Erfolg

Lübeck/Berlin (taz) – Einen Tag nach dem erneuten Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge mehren sich die Zweifel am Sicherheitskonzept der Polizei. Mitarbeiter des jüdischen Gotteshauses berichteten, daß die Schutzmaßnahmen in letzter Zeit erheblich nachgelassen hätten. „Nach dem ersten Anschlag vom 25. März 1994 wurde die Synagoge rund um die Uhr bewacht. Irgendwann wurde das immer weniger, zuletzt patrouillierte nur noch ab und zu Polizei vorbei.“

Das Gerücht, die Jüdische Gemeinde selbst habe um eine Lockerung der Schutzmaßnahmen gebeten, sei falsch, erklärt deren Geschäftsführer Heinz Jaeckel gestern: „Wir haben die Polizisten nicht weggeschickt. Natürlich würden wir lieber ohne Bewachung leben, ohne Stacheldraht. Aber offenbar geht es nicht anders.“ Jaeckel räumt ein, daß es einen hundertprozentigen Schutz nicht gebe. Warum die Polizei die Bewachung reduziert hat, weiß er nicht: „Das Sicherheitskonzept ist deren Verantwortung, da haben wir keinen Einfluß darauf.“ Dagegen behauptete das Innenministerium, die Maßnahmen seien mit der Gemeinde abgestimmt gewesen.

Winfried Tabarelli, Leiter der Lübecker Polizeidirektion Süd, erklärt die laxe Polizeiüberwachung so: „Es gab keine Hinweise auf konkrete Gefährdungen.“ Auch den 8. Mai, 50. Gedenktag des Kriegsendes, habe man bedacht, doch die Beamten aus Lübeck und vom Landeskriminalamt Kiel sahen keine Gefahr. Intern habe man sich folgerichtig auf eine angemessene Gefährdungsstufe geeinigt.

Wie verlautete, handelte es sich hierbei um die niedrigste aller möglichen Sicherheitsstufen, die Nummer sechs: Das heißt mehrfaches Patrouillieren tagsüber, stündliche „Bestreifung“ nachts. Tatsächlich kam wenige Minuten vor dem Anschlag ein Streifenwagen an der Synagoge vorbei, bestätigte Tabarelli.

Warum das Gebäude nicht – wie etwa die Synagogen in Berlin – grundsätzlich 24 Stunden lang bewacht wurde, wollte das schleswig-holsteinische Innenministerium gestern nicht sagen. Sprecher Thomas Giebeler: „Wir wollen uns zunächst ein umfassendes Bild machen.“ Erst morgen will das Ministerium gegenüber dem Innen- und Rechtsausschuß Rechenschaft ablegen. Zu möglichen Versäumnissen bei der Bewachung der Synagoge schwieg er.

Die Landesregierung und die ermittelnde Bundesanwaltschaft haben eine Belohnung von 100.000 Mark für Hinweise, die zur Ergreifung der Brandstifter führen, ausgesetzt. Allerdings gibt es noch keine heiße Spur. Man ermittele in alle Richtungen, vor allem jedoch in der rechtsradikalen Szene. Arbeitshypothese sei, so die Bundesanwaltschaft, daß die Tat gezielt am Tag der Einweihung der Berliner Synagoge und vor dem 8. Mai verübt worden sei. Ermittelt wird wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung. M. Schießl / K. Kampen

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