■ Vorlesungskritik
: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde

Wie ein Informatiker sieht er nicht aus. Mit jenen Studenten des Fachs, die mittels fettiger Haare, häßlicher Brillen und gammeliger Sweatshirts ihr Idol Bill Gates zu imitieren suchen, hat er nichts gemein. Statt dessen präsentiert er sich mit randloser Brille, struppigem Schnurrbart und langen, nach hinten gekämmten Haaren auch optisch als bunter Hund seiner Zunft.

Joseph Weizenbaum wurde 1923 in Berlin geboren, als Kind jüdischer Eltern, mit denen er 1936 aus Nazi-Deutschland floh. 1963 kam er als einer der Computer-Pioniere ans Massachusetts Institute of Technology (MIT). An der Elite-Uni, zu deren Geldgebern das Pentagon zählt, entwickelte er sich alsbald zu einem der prominentesten Kritiker der technologischen Entwicklung.

Sein 1977 erschienenes Buch „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ machte ihn auch in Deutschland bekannt, wo er derzeit – in Freiburg – als Gastprofessor weilt. Was lag da für die Evangelische StudentInnengemeinde (ESG) und das von ihm mitbegründete „Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ (FIFF) näher, als ihn zur Eröffnung des Kongresses „Auf dem Information Highway in die soziale Sackgasse?“ einzuladen. Die „Vision eines verantwortlichen Umgangs mit der Informationstechnologie“ versprach die Vortragsankündigung im Tagungsprogramm.

Daß es dann nicht ganz so spannend wurde, lag vielleicht auch daran, daß Weizenbaum bereits im ersten Satz fast alles verriet. Es sei sehr schwierig, sagte er, Voraussagen zu machen, besonders über die Zukunft. Was er anschließend am Beispiel von Auto, Telefon, Fernsehen, CB- Funk und Künstlicher Intelligenz ausführlich demonstrierte. Der grundlegende Irrtum sei, daß technologische Lösungen für menschliche oder gesellschaftliche Mißstände gesucht würden, aber: „Die meisten Probleme sind einfach nicht mit technischen Mitteln lösbar.“ Weizenbaum schloß den Vortrag so allgemein, wie er ihn begonnen hatte. „Ich wurde hier hergeholt, um dunkle Dinge über den Info-Highway zu sagen. Das hab' ich jetzt gemacht.“

Die Diskussion brachte jedoch an den Tag, daß er sich mit seinen Gastgebern nur darin einig war, daß, nicht aber, warum die Info- Autobahn gefährlich ist. Das Auditorium strebte danach, im Zeichen des Datenschutzes den ungehemmten Fluß von Informationen möglichst einzudämmen. Weizenbaum dagegen argumentierte sehr amerikanisch. Er sorgte sich um die offene Gesellschaft und schwärmte von den Anfängen der Info-Netze vor dreißig Jahren: „Damals war es ganz normal, daß Kollegen meine Datei angeschaut haben.“ Heute sei die Frage, wer zu den Netzen Zugang habe, gleichbedeutend mit der Frage, wer zur Gesellschaft gehöre.

Als Weizenbaum seine Zuhörer im kahlen TU-Hörsaal entließ, griff er noch einmal tief in den Zitatenschatz aller guten und edlen Menschen. Überall gebe es „Inseln der Vernunft“, die es zu verbinden gelte. „So, jetzt habt ihr alle etwas zu tun.“ Ralph Bollmann