Die Nase voll im Zeitgeistwind

Die Basketball-Abart „Streetball“, eine Schöpfung findiger Werbestrategen, befindet sich im vierten Lebensjahr auf der Suche nach Authentizität und bedient sich dazu in der deutschen HipHop-Szene  ■ Von Thomas Winkler

Berlin (taz) – Cora E sitzt an diesem kleinen runden Tischchen, ißt ein paar Happen vom kalten Buffet, das „adidas“ bereitgestellt hat, und macht Promotion. Hin und wieder kommt ein Pressevertreter und will wissen, was sie sich dabei denkt, daß sie für einen Sponsor, der am Basketballboom verdienen möchte, rappt und nicht für sich selbst; daß sie als Mitglied des „Urban Culture Teams“ im Rahmenprogramm der „Streetball Challenge“-Turniere des Sportartikel-Riesen aus Herzogenaurach „Fun für jedermann“, wie es die Pressemitteilung verspricht, abliefert. Ziemlich dünnhäutig reagiert die Rapperin aus Heidelberg auf solche Fragen, denn: „Endlich kriegen wir mal Geld für unsere Fähigkeiten.“ Von „Ausverkauf“ könne keine Rede sein.

Gerade von ihr war das nicht zu erwarten, denn vor allem die Heidelberger Szene, allen voran das Trio Advanced Chemistry, hatte sich hervorgetan im typisch deutschen Grabenkampf um die reine Lehre im deutschen HipHop. Hauptfeind waren damals die Fantastischen Vier, bei denen die street credibility nicht vorhanden sei. Verrat an der Szene wurde allüberall gewittert. Aber die Jahre gingen ins Land, die Protagonisten dieses Streits sind ein wenig älter geworden, die Grabenkämpfe sind nicht vergeben, aber vergessen.

Immerhin gibt Cora E zu, daß „es sicher Rapper geben mag, die damit Probleme haben“, was sie hier macht. Was sie hier macht, ist, ihren guten Namen, also eben ihre credibility, einer Sportartikelfirma zu leihen, damit etwas davon auf das Werbeobjekt, die Erfindung Streetball, abfärben möge. Denn auch im vierten Jahr hängt dem Streetball trotz Aufwendungen in Millionenhöhe, trotz einer halben Million Zuschauer bei den diversen Veranstaltungen im letzten Jahr, bei denen ungefähr 12.000 Teams mitspielten, immer noch der Modermuff einer Werbeidee an. Und das zu Recht, denn auf den Freiplätzen in US-amerikanischen Ghettos wird zwar reichlich Basketball gespielt – wenn auch zugegebenermaßen oft auf einen Korb, wie bei der adidas-Variante –, nur Streetball heißt das ganz bestimmt nicht. „Ohne adidas gäbe es kein Streetball“, gibt denn auch der Pressesprecher zu, aber das ist kein Problem für Cora E, denn „die machen was Gutes“ – für sie und ihre Mitstreiter im „Urban Culture Team“, das sich zusammensetzt aus Rappern und DJs, Breakdancern und BMX-Fahrern. Für die optischen Hintergründe der Turniere konnten gar einige legendäre Writer, also Graffiti-Künstler, gewonnen werden.

So geht die HipHop-Kultur ihren Weg ins Establishment, getrieben von besorgten Sozialarbeitern, die den Kids ein paar Häuserwände zur Verfügung stellen, auf die sie sprühen dürfen, und sonstigen Bürokraten, die meinen, eine Jugendbewegung ist erst dann richtig ungefährlich, wenn sie in Bahnen verläuft, die sich mit Vereinsstatuten abgrenzen lassen. adidas leistet seinen Anteil an der „Sozialarbeit“ mit mehr als 100 Körben, die „in Jugendzentren, Schulen und auf öffentlichen Plätzen installiert“ wurden und mit vielen kleinen und großen Turnieren in 48 Ländern, bei denen „Multinationen-Teams“, die sich aus vier verschiedenen Nationalitäten zusammensetzen, mit einem „Überraschungspreis“ geehrt werden. Das erste deutsche „Metropolitan- Event“ findet am kommenden Wochenende in Köln statt, sechs weitere folgen, abgeschlossen mit dem „German Final“ im August in Berlin. Die besten Teams fahren zum Weltfinale ins herbstliche Barcelona.

Daß sich ein Sportartikelgigant einreiht in die Horde jener, die der HipHop-Szene was Gutes tun wollen, ist dieser nur recht, denn „wir haben weiter die Möglichkeit, unser Ding zu machen“, glaubt Robert Müller. Nur ist es diesmal legal und bringt noch dazu Geld. Müller alias D-TEX Law, ist Rapper, Mitbesitzer des HipHop-Labels Blitzmob in Köln und Mitorganisator des „Urban Culture Teams“. Er kann nichts Böses erkennen: „Da kommen Leute zusammen ohne Gewalt, und die Organisation ist halt von adidas.“

Müller erzählt von BMXlern, die gesponsert werden, ohne daß die Schuhfirma eine entsprechende Werbegegenleistung überhaupt erwarten könne. Er glaubt, die „machen Riesengewinne, und die könnten sie auch mit was anderem machen“. Aber hier irrt er, denn Streetball war mehr als nur ein Zubrot für die Herzogenauracher, die die Joggingwelle verschlafen hatten, als sie immer noch glaubten, es würde schon reichen, die deutsche Fußballnationalmannschaft einzukleiden. International verloren sie ihre Vormachtstellung an Nike und Reebok, national hatte Puma schwer aufgeholt. Dank der Kampagne hat adidas endlich wieder einmal die Nase im Zeitgeistwind. Und Puma fühlte sich genötigt, den Zug nicht zu verpassen, und lancierte „Street Soccer“. „Streetball“ war zwar eine Wortschöpfung findiger Werbestrategen aus dem Fränkischen, aber die Idee dazu fiel adidas in den Schoß. Mehr unfreiwillig in die Hipness geschubst wurden sie von den Homeboys in den Ghettos New Yorks. Bei denen war es eine Zeitlang komischerweise angesagt, die Marke aus Deutschland spazieren zu führen. Was dem Yuppie sein Mercedes, waren dem HipHopper seine drei Streifen. Run DMC rappten gar einen Lobgesang namens „My Adidas“ (sprich: „mei a- di-da“) und wurden 1986 prompt zur ISPO nach München eingeladen, wo es allerdings unvermeidliche Berührungsschwierigkeiten zwischen den B-Boys und den fränkischen Turnschuhfabrikanten gab. Aber das neue Marktsegment war entdeckt und rechtzeitig erkannt, daß man gegenüber den Marktführern wieder würde aufholen können. Doch weiterhin hatte adidas seine Probleme mit der Authentizität, statt dessen wurden fürs Rahmenprogramm solche Bravo-Titelhelden wie die 4 Reeves engagiert.

Für eine Präsentation bei der ISPO beauftragte man eine große Agentur, doch ein paar Rapper und Breakdancer zu organisieren. „Die hatten teilweise schon seit fünf Jahren nichts mehr gemacht und waren richtig schlecht“, erzählt Robert Müller.

Die Wende zur tatsächlich auf den Straßen deutscher Neubausiedlungen verankerten HipHop- Szene kam schnell, aber ist eigentlich nicht verständlich. Denn „an die echt coolen Zocker will adidas gar nicht ran“, meint Hans-Jürgen Gruner, der die Turniere in Neufünfland organisiert, „die Zielgruppe sind doch eher Kids, die ihre Mittelstandseltern zehnmal ins Geschäft zerren, bis sie ihnen was kaufen.“ Und das kann bekanntermaßen teuer werden, denn vom Schuh bis zum Stirnband ist alles im Angebot, voll ausgerüstet können schon 500 Mark zusammenkommen.

Cora E ficht auch das nicht an: „Wir verkaufen das, das ist schon richtig. Aber wir müssen nichts an uns verändern.“ Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da hatte sie 1993 auf ihrer ersten Single „Könnt Ihr mich hör'n?“ gerappt: „Die Kassen ham noch nicht geklingelt, doch das ist o.k., es reicht, wenn ich hier steh und euch da unten tanzen seh.“ Inzwischen klingeln die Kassen, zumindest ganz leise, auch für sie.