Kein Ort für voll Ausgebackene

Theaterdonner über Liverpool – „Eine sachliche Romanze“, Mike Newells neuester Film, enthält mehrere halbe Hochzeiten und kaum ein Begräbnis / Georgina Cates ist wunderbar  ■ Von Jörg Lau

Der schöne Titel dieses Films ist in gewisser Weise ein aufgelegter Schwindel: Die Romanze, der die junge Heldin entgegenschwärmt, kommt tragischerweise nicht zustande. Was sie statt dessen bekommt, ist so sachlich wie ein Zungenkuß im Familienkreis.

Wahrscheinlich geht die Idee mit der „Sachlichkeit“ auf das schönste Aperçu der Protagonistin Stella zurück. Während sie mit demjenigen, den sie ersatzweise erobert hat, im Bett liegt, sagt sie sinnierend und ein wenig erstaunt: „Ich glaube, ich werde das Bumsen genießen.“ Und sie wird.

Aber damit hat sich's auch schon mit den sachlichen Tönen, denn dieser Film erzählt eine Initiationsgeschichte, und bei solchen Geschichten vom Durchlaufen der rites de passage geht es bekanntlich stets um wilde Herzen. Unsere Geschichte hier spielt in den frühen fünfziger Jahren, einer Zeit des Übergangs also, was den Akzent auf Verwandlung und Schwellenerfahrung noch verstärkt. Die sechzehnjährige Stella, gespielt von der wunderbaren Georgina Cates in ihrer ersten Rolle, will zum Theater. (Manchmal übertreibt Cates ein wenig Stellas Holpern und Herumdrucksen, aber in den besten Szenen verbindet sie das ihr physiognomisch gegebene niedlich-kaninchenhafte Schnüffeln am Geruch der unbekannten neuen Welt mit einer umwerfenden proletarischen Anmut: Von ihren Kolleginnen befragt, was sie von einem gewissen männlichen Ensemblemitglied mit sehr damenhaften Allüren halte, sagt sie, sie halte ihn für eine Pussy, aber eine sehr nette.) Will sie Karriere machen? Sicher, aber vor allem will sie zum Theater, hinein in diese Welt und hinaus aus der Enge des Liverpooler Arbeitermilieus, in dem sie als Waise, begluckt von Onkel Vernon und Tante Lily, aufgewachsen ist. Und sie schafft es.

Die Theaterwelt, die Mike Newell entstehen läßt, ist wie geschaffen für Übergangserfahrungen. Sie ist eine Zwischenwelt – zwischen „großer Kunst“ und Vaudeville, zwischen Anerkennung und drohendem Ruin; voller Gestalten, die eine große Vergangenheit oder eine vielversprechende Zukunft haben, aber hier und jetzt ziemlich ins Trudeln geraten. Das Theater in diesem Liverpool im Umbruch ist kein Ort für voll ausgebackene erwachsene Persönlichkeiten, und Meredith Potters Schauspieltruppe oszilliert denn auch zwischen Genie, Prätention und verblaßtem Ruhm.

Potter, der Direktor (Hugh Grant, mit Mike Newells sensationell erfolgreichem letztem Film „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ zum Schwarm der Mädchen aller Altersklassen und Geschlechter aufgestiegen), hält den Laden durch seine Misanthropie zusammen. Es ist ein Geheimnis um ihn, was wohl neben seiner Tolle und seinen Grübchen nicht wenig dazu beiträgt, daß sich Stella in ihn verliebt. Das Problem dieser Liebe wird nun aber eben dieses Geheimnis, gegen dessen Lüftung Stella sich hartnäckig wehrt, um nur ja nicht aus ihrer Schwärmerei verjagt zu werden: Potter ist schwul und haßt sich dafür, und seinen Selbsthaß läßt er an seinem Liebhaber aus, den er zahllosen öffentlichen Demütigungen aussetzt. Hugh Grant spielt den versteinerten Potter mit der gleichen Leichtigkeit, die er in komischen Rollen an den Tag legt. Was sein Potter in sich vergraben hat, läßt er in der Feinmotorik, der Art zu rauchen oder in einem verächtlichen Zucken der Mundwinkel aufscheinen. Stella, die reine Seele, mag nicht sehen, daß sie in Potter jemanden liebt, der seine eigene Liebe verrät. Erst muß sie selber eine Liebe erleben, die sie an den Rand ihrer Loyalität bringt. Denn eines Tages kreuzt PL O'Hara auf, ein legendärer Schauspieler (Alan Rickman), der zunächst vor dem Hintergrund der halbbelichteten Ensemblemitglieder als einzige vollgültige Person erscheint. Er entflammt, Stella läßt ihn lieben und hält sich dabei weiter an Potter, der ihre Phantasmen durch seine brüske Abwendung in Schach hält. Wenn das Begehren so umständlich fließen muß und immer nur umgeleitet wird, statt je am ersehnten Bestimmungsort anzukommen, dann mögen das schwierige Zeiten für die Liebe sein, aber es sind, wie man weiß, oft gute für die Kunst. Stella hat ihre ersten Erfolge auf der Bühne, die nebenbei ein Fechtboden geworden ist, in dem der ersehnte und der in Kauf genommene Liebhaber sich subtile Stiche versetzen. O'Hara beginnt darunter zu leiden, daß er nur liebt und nicht geliebt wird und stellt in einer Art Duellszene Potter bloß, der unfähig ist, wiederzulieben. Ein Triumph wird das nicht.

Am Ende muß O'Hara sterben. Muß er? Er rast mit seinem Motorrad in den Tod. Warum, sei nicht verraten. Nur, daß es etwas mit seiner verbotenen Liebe zu der sehr viel jüngeren Frau zu tun hat. Eine dumme Pointe, die einem fast den Film verleiden könnte. Wäre da nicht am Ende Georgina Cates als Stella, desillusioniert, wie es sich für eine Initiationsgeschichte gehört, aber gespannt, was jetzt kommen mag. Die macht ihren Weg.

„Eine sachliche Romanze“. Regie: Mike Newell, mit Georgina Cates, Hugh Grant, GB 94, 110 Min.