„Ich sah keine Chance, mich zu verweigern“

■ Der ehemalige grüne Landtagskandidat Wilhelm von Schmeling trat zurück, weil er im Zweiten Weltkrieg an einer Exekution eines Spaniers beteiligt gewesen war

Der Fall des 71jährigen Ex- Landtagskandidaten von Schmeling schlägt bei den Grünen hohe Wellen: Fraktionschef Joschka Fischer hat seine Partei gestern zu einem besonders sorgfältigen Umgang mit der Verstrickung von Mitgliedern in NS-Unrecht aufgefordert. Ein Fall wie der des grünen NRW-Landtagskandidaten Wilhelm von Schmeling sei für eine Partei mit den pazifistischen Grundsätzen der Grünen sehr bitter, sagte Fischer. Schmeling hatte seine Kandidatur am Dienstag niedergelegt, nachdem bekanntgeworden war, daß er 1944 an der Exekution eines Spaniers im besetzten Marseille beteiligt war.

taz: Herr von Schmeling, Sie sagten, jeder in Oberhausen habe von ihrer Vergangenheit wissen können. Wann haben Sie angefangen, davon zu erzählen?

Wilhelm von Schmeling: Ich habe, von den letzten Wochen abgesehen, nie große Auftritte gehabt, bei denen ich mich öffentlich bekannt hätte. Ich weiß auch nicht mehr, wann genau ich das so verarbeitet hatte, daß ich es rauslassen konnte. Aber ich habe mich danach nie zurückgehalten. Meine Kinder – mein ältester Sohn ist 42, mein jüngster 24 – wußten Bescheid, und bei Diskussionen und Gesprächen über Aufrüstung oder Friedenspolitik wurde ich schließlich auch von Konservativen immer wieder gefragt, weshalb ich denn so pazifistisch sei. Dann habe ich immer erzählt, was ich in Marseille getan und im Krieg erlebt habe.

Sie haben ein Adelsprädikat, waren Marineoffizier. Wie kommt so einer überhaupt zu den Grünen?

Mein Vater war sogar Großgrundbesitzer in Hinterpommern. Er war aber bei seinen Standesgenossen als Roter Baron verschrien. Ich erinnere mich, daß er uns Kindern bei unserem letzten gemeinsamen Urlaub 1942 sagte: Wenn wir uns überhaupt wiedersehen, dann müssen wir überlegen, wie wir weiterleben werden. Diese Ordnung, die Einteilung in Herren und Knechte, die wird es nicht mehr geben.

Als Schüler hat mich zudem eine Studienreise nach Polen erschüttert. Da bekamen wir ganz offen gesagt: Die Polacken brauchen wir als Arbeitstiere, die gehen in Zukunft nur noch bis zur vierten Klasse zur Schule.

Haben Sie sich direkt nach dem Krieg politisch links engagiert?

Jahrelang war ich in erster Linie damit beschäftigt, Geld zu verdienen, meine Familie zu ernähren. Ich war Rohrschweißer, Maurer, habe Coca-Cola und Fußbodenbeläge verkauft und war Fachberater für Baustoffe, schließlich Handelsvertreter. Politisch habe ich erst ab 1987 gearbeitet. Ich bin bei den Grünen eingetreten, als ich merkte: Früher habe ich auf die alten Säcke geschimpft und mir geschworen, ich würde das alles besser machen. Nun war ich selber ein alter Sack und mußte mir sagen, daß ich nichts besser gemacht hatte.

Welche Rolle hat Ihre Beteiligung an der standrechtlichen Erschießung in Marseille dabei gespielt?

Ich sah damals keine Chance, ohne Gefahr für mein Leben mich dem zu verweigern. Aber das hat mich nie losgelassen. Als mein eigener Sohn zum Bund sollte, war das Teil unserer Diskussionen, und ich wußte: Jetzt gehst du raus damit.

Jürgen Trittin von Bündnis 90/ Die Grünen forderte am Dienstag Ihren sofortigen Rücktritt von der Landtagskandidatur. Sind Sie freiwillig oder auf Druck zurückgetreten?

Als mündiger Mensch war das mein Entschluß. Aber der ist natürlich nicht ohne Beeinflussung gefaßt worden. Bärbel Höhn (Spitzenkandidatin der Grünen in NRW, d. Red.) hat mir geschildert, welches Mediengewitter auf mich niedergehen würde. Was die Parteispitze angeht, da habe ich allerdings den Eindruck, daß da ein paar Leute den Kontakt mit den Menschen und dem Leben verloren haben. Interview: Andrea Dernbach