Orlet kommt rasant in Rente

■ Der Mannheimer Skandalrichter wird durch vorzeitigen Ruhestand der Richteranklage entzogen

Freiburg (taz) – Erneut wird der Mannheimer Richter Rainer Orlet im passenden Moment krank. Gestern beantragte er deshalb die Versetzung in den Ruhestand. Und noch am Nachmittag desselben Tages gab das Stuttgarter Justizministerium dem Antrag statt.

Orlet hatte dem NPD-Vorsitzenden und Auschwitz-Leugner Günter Deckert in der von ihm verfaßten Urteilsbegründung wegen Volksverhetzung bescheinigt, er sei ein „charakterfester Mann“, und später in einem Interview erklärt, er könne sich vorstellen, privat mit Deckert befreundet zu sein. Nach öffentlichen Protesten hatte Orlet sich dann gemeinsam mit seinem Kammervorsitzenden Wolfgang Müller krank gemeldet. Die Kammer war aufgrund dieser „dauerhaften Verhinderung“ der beiden Richter kurzfristig umgebildet worden. Die Öffentlichkeit reagierte irritiert, aber eher befriedigt auf diesen seltsamen Umgang mit der richterlichen Unabhängigkeit.

Müller kehrte Ende September auf seinen Posten zurück, Mitte November folgte Orlet. Viele BeobachterInnen erwarteten, daß nun das Präsidium des Landgerichts bei der Neuordnung der Geschäftsverteilung zum Jahreswechsel den Strafrichter Orlet in eine Zivilkammer stecken oder wenigstens die durch gewissen Korpsgeist aufgefallene Kammer auseinanderreißen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Jetzt regte die SPD im Stuttgarter Landtag an, Richteranklage gegen Orlet beim Bundesverfassungsgericht zu erheben. Das hatte es in der Bundesrepublik bisher noch nie gegeben. Außerdem begannen zahlreiche Mannheimer SchöffInnen die Zusammenarbeit mit Orlet zu verweigern. Diesen Auseinandersetzungen hat sich Orlet nun endgültig entzogen. Sein Anwalt Wilhelm Preuß legt aber Wert darauf, daß es sich hier keineswegs um „Opportunismus“ handelt: „Herr Orlet ist schwer krank. Von einem Herzinfarkt, den er vor einigen Jahren erlitt, ist ihm ein Herzwandeurysma verblieben, das im Falle von Aufregungen zu erhöhter Emboliegefahr führt.“ Preuß verweist auf ein ärztliches Attest, das „zur Abwendung eines möglichen lebensbedrohenden Zustandes“ eine vorzeitige Pensionierung für „zwingend angeraten“ hält.

Eine Prüfung des Attests durch das Stuttgarter Justizministerium war jedoch gar nicht mehr erforderlich. Denn Deckert ist über 60 Jahre alt und ist bereits als „schwerbehindert“ anerkannt. „Da kann er ohne weitere Angabe von Gründen die Versetzung in den Ruhestand beantragen“, erklärte Ministeriumssprecher Karl Heinz Börkel. Der Grünen-MdL Michael Jacobi sprach von der „schnellsten vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand, seitdem es Beamte gibt“.

„Merkwürdig“ sei auch, meint SPD- Sprecher Hans-Jürgen Lange, daß Orlet seinen Ruhestand gerade am 15. Mai beginnen lassen wolle. Denn am 16. Mai hätte der Landtag über die Richteranklage entschieden. Orlet hatte sich erst in der letzten Woche mit einer fünfseitigen Stellungnahme zu seinen Interviewäußerungen zu Wort gemeldet. Orlet räumte immerhin ein, daß er das Urteil nicht noch einmal im gleichen Wortlaut verfassen würde. Christian Rath

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