Große Koalition auf dem Prüfstand

Erstmals berät der Vermittlungsausschuß den Bundesetat, die SPD will mehrere Nachbesserungen und zudem die Regelungen zum Existenzminimum und zum Kindergeld ändern  ■ aus Bonn Hans Monath

Es ist bereits Mitte Mai, und der Bund hat noch immer keinen Haushalt für das laufende Jahr verabschiedet. Im Bundesrat scheiterte der Entwurf der Bundesregierung an der Mehrheit der SPD- Länder. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik trat deshalb gestern der gemeinsame Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat zusammen, um einen Bundeshaushalt zu ändern.

Die Sozialdemokraten scheinen fest entschlossen, ihre Macht öffentlichkeitswirksam auszuspielen. Die kürzlich errungene Mehrheit im Vermittlungsausschuß wollen sie nutzen, um eine Kraftprobe mit der Regierung herbeizuzwingen. Weist die Koalitionsmehrheit im Bundestag das Kompromißergebnis des Vermittlungsausschusses zurück, wird die Länderkammer Einspruch erheben. Dann könnte der Bundestag nur mit der „Kanzlermehrheit“ den Etat in Kraft setzen. Wie bei der Wahl Kohls müßte die Koalition wieder um jede Stimme bangen.

Eine ganze Palette von Nachbesserungen zum Haushalt hat der Bundesrat verlangt: Die geforderte Novellierung des Wohngeldgesetzes würde den Bund rund 700 Millionen Mark mehr kosten, auch für den Wohnungsbau in Ballungszentren soll mehr Geld bereitstehen. Beim Bafög soll Waigel die Bedarfssätze und Freibeträge aufstocken, zudem mehr Mittel für den Hochschulbau genehmigen. An den Investitionskosten für Kindergartenplätze soll sich der Bund beteiligen, finanzschwache Gemeinden und Regionen bei der Bewältigung der Konversionsfolgen Hilfestellung bieten und die Ansätze im Bereich der Forschungsförderung erhöhen. Der für Oktober angekündigte Eingriff in die Arbeitslosenhilfe (1995: eine Milliarde Mark Einsparung) soll zurückgenommen werden, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einen höheren Stellenwert erhalten.

Rund eine Milliarde Mark kosten die inzwischen abgespeckten Vorschläge der SPD-geführten Länder (A-Länder). Die Sozialdemokraten behaupten, daß ihre Kürzungsvorschläge den Bundeshaushalt über diese Summe hinaus entlasten würden. Die Bundesregierung bezifferte die Länderforderungen allerdings mit zehn Milliarden Mark.

Von der Kompromißbereitschaft der Kohl-Regierung im Haushaltsstreit machen die A-Länder ihr Verhalten in einem Konflikt abhängig, der noch schwieriger zu lösen sein wird als der Kampf um den Etat: In den Verhandlungen um das Jahressteuergesetz für 1996 ist Waigel weit stärker auf das Entgegenkommen des Bundesrats angewiesen. Das Steuergesetz ist im Gegensatz zum Haushaltsgesetz zustimmungspflichtig. An dem Waigel- Entwurf hatten Experten auf einer Anhörung Ende April kein gutes Haar gelassen.

Eine Niederlage wird der Finanzminister in der heutigen Bundestagssitzung erleben. Die Sozialdemokraten verweigern ihre Zustimmung zur Gewerbesteuerreform. Zur Beteiligung der Städte und Kommunen an der Mehrwertsteuer, wie sie Waigel vorschlägt, müßte mit Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz geändert werden. Die Sozialdemokraten trotzen den Aufforderungen des Steuerzahlerbundes, weil sie den Plan zum Ausgleich von Gewerbesteuerausfällen für die Kommunen für falsch halten. An den Vorschlägen der SPD-Fraktion und der A-Länder zum Jahressteuergesetz kann Waigel wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und Vermittlungsausschuß nicht vorbei. Bei der Festlegung des Existenzminiums und beim Familienlastenausgleich (Kindergeld) wird die Regierung den Sozialdemokraten entgegenkommen müssen. Scharping muß allerdings das Kunststück fertigbringen, die Interessen der A-Länder und die seiner Fraktion zu einer gemeinsamen Strategie zusammenzuführen.

Offen ist freilich, wer nach einer Einigung in der Öffentlichkeit die Segnungen aus der Bundeskasse als seinen Erfolg verbuchen kann. Auch wenn die SPD sich weitgehend durchsetzt: Verkündet wird die Wohltat von der amtierenden Regierung.