piwik no script img

Sturm auf Kaschmirs heiligen Schrein

■ Fast 50 Menschen starben, als indisches Militär eine von Separatisten besetzte Moschee eroberte / Bevölkerung mißachtet verschärfte Ausgangssperre

Srinagar (AP/rtr/taz) – Die Belagerung einer Moschee im indischen Unionsstaat Kaschmir durch indische Soldaten ist am Donnerstag mit einem Blutbad zu Ende gegangen. Bei mehrstündigen Kämpfen mit militanten Separatisten, die sich in der Moschee seit zwei Monaten verschanzt hielten, kamen in der Pilgerstadt Char- e-Sharif nach offiziellen Angaben 40 der Kaschmir-Nationalisten und sieben Soldaten ums Leben. Eine Moschee aus Holz, in der sich eine Grabstätte aus dem 14. Jahrhundert befand, brannte vollständig aus. Der zerstörte Schrein des Schutzpatrons von Kaschmir, Nooruddin Wali, wurde von Muslimen, Hindus und Sikhs gleichermaßen verehrt.

Über den Verlauf der Gewalttätigkeiten gab es widersprüchliche Berichte. Der indische Ministerpräsident Narasimha Rao beschuldigte die Nationalisten, die Moschee in Brand gesetzt zu haben. Die Rebellen erklärten, das indische Militär habe das Feuer gelegt.

Bei den Kämpfen um das Gotteshaus waren bereits am Montag 1.500 Holzhäuser und Läden in Flammen aufgegangen. Die etwa 20 Separatisten, die den Angriff in der Nacht zum Donnerstag überlebten, flüchteten sich in Kellerräume der Stadt und setzten dort den Kampf fort.

Aufgrund der Nachrichten aus Char-e- Sharif nahmen auch in Srinagar, der Sommerhauptstadt des Unionsstaates Jammu- Kaschmir, die Spannungen zu. Die Behörden erließen eine strikte Ausgangssperre über das Kaschmir-Tal und umstellten nach Angaben von Einwohnern im Hauptort Srinagar die Häuser von drei Separatistenführern. Viele Jugendliche mißachteten das Ausgangsverbot, versammelten sich im Zentrum der Stadt, riefen antiindische Slogans und warfen Steine auf Soldaten. Diese setzten Tränengas ein. Mehrere Bewohner versuchten, sich auf den Weg in das 30 Kilometer westlich gelegene Char- e-Sharif zu machen. Soldaten vertrieben sie von den Straßen. Auch Journalisten wurde der Zugang nach Char-e-Sharif verwehrt, etwa sechs Reporter und Fotografen wurden festgenommen. Jammu-Kaschmir ist der einzige Unionsstaat in Indien mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung. Ein Teil der nationalistischen Gruppierungen kämpft für die Unabhängigkeit der Region, andere für einen Anschluß an Pakistan, dessen Grenzprovinz zu Indien den nordwestlichen Teil Kaschmirs bildet.

Indien wirft dem Nachbarland vor, die kaschmirischen Rebellen mit Waffen und anderem Material zu unterstützen und sie militärisch auszubilden. Das bestreitet Pakistan. Beide Staaten beschuldigen sich gegenseitig, die Situation in Kaschmir zur Destabilisierung der Region zu nutzen.

Im indischen Teil Kaschmirs sind nach offiziellen Angaben in den vergangenen fünf Jahren mindestens 11.000 Menschen umgekommen. Menschenrechtsorganisationen werfen Indien vor, in dieser Situation massive Ausschreitungen seiner Soldaten gegen die Zivilbevölkerung zu tolerieren. Der Plan der Regierung, die Region im Nordwesten Indiens mit Hilfe von Kommunalwahlen zur Normalität zurückzuführen, hat jetzt noch weniger Aussicht auf Erfolg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen