Auch wenn's nach Natur riecht ...

■ Debatte um Schadstoffe in Biofarben verunsichert die Verbraucher / Selber mischen? Bier auf Holz hat sich bewährt

Verunsichert von der jüngst entfachten Debatte um Schadstoffe in Naturfarben mag sich manch naturliebende Heimwerkerin wieder fragen, womit sie denn noch pinseln darf. Abgesehen von einiger Konfusion bei den korrekten Stoffbezeichnungen ist man sich immerhin weitgehend einig, daß zum Beispiel die großzügige Verwendung von Balsamterpentinöl nicht ungefährlich ist. Dennoch mixen einige große Biofarben-Produzenten noch mit dem Kieferharzextrakt. Manche Menschen klagen nach dem Verstreichen über Kopfschmerzen oder allergische Reaktionen.

Viele Hersteller setzen deshalb auf sogenannte Iso-Aliphate: hochgereinigtes und von Aromaten befreites Benzin, das – man höre und staune – große Erdölkonzerne liefern. Lacktechnisch wird auch von „Kristallöl“ gesprochen. Das Lösungsmittel riecht nicht und wird daher für ungefährlich gehalten. Hans-Kurt von Eicken, Leiter des „Centrums für Baubiologie und Ökologie“ (CeBÖ) in Berlin-Schöneberg, mahnt dennoch zur Vorsicht, denn der Stoff kann theoretisch ein Gemisch aus hunderten von Substanzen sein, von denen einige krebserregend sind. „Die Hersteller prüfen das nicht und können nicht sagen, um welches der verschiedenen Iso-Aliphate es sich handelt“, so von Eicken.

Riskant wird es immer dann, wenn im Produktionsprozeß Moleküle verändert werden und neue Stoffe entstehen, deren Reaktionsweise noch unbekannt ist. Um sicher zu gehen, rät Baubiologe von Eicken zum „Lüften auf Teufel komm raus“.

Gleiches gilt für Farben, die in Zitrusschalenöl gelöst sind. Nicht alles, was nach Natur riecht, dient auch der Gesundheit. Wie alle Lösungsmittel besitzt auch Zitrusschalenöl die Fähigkeit, Fette abzulösen. „Wenn das dann im Gehirn passiert, ist das weniger erfreulich“, so von Eicken. Trotzdem empfiehlt er mitunter CeBÖ-SeminarteilnehmerInnen, die mit Naturfarben renovieren wollen, aber strapazierfähige Bodenlacke benötigen, konventionellen Alkydharzlack. Öko-Lacke, die nicht so hart sind wie synthetische, enthalten zwar weniger Lösungsmittel, das Gift verdampft aber auch langsamer. Von Eicken pragmatisch: „Lieber drei bis vier Wochen als Monate oder Jahre mit Lösungsmitteln in der Atemluft leben.“

Die umweltbewußte Farbenlehre bietet trotz aller Kritik eine breite Palette von Mischkonzepten an, die ganz ohne Lösungsmittel auskommen. In Kaseinfarben etwa, die sich für Wände und Fassaden eignen, sind sie völlig überflüssig. Kasein ist vor allem in Magerquark enthalten, und der läßt sich bekanntlich mit Wasser lösen. Für Holzlasuren hat sich ein Gemisch aus Bier (!) und Pigment bewährt. Fußböden müssen nicht lackiert werden, wenn Pigmente mit Leinöl gemischt oder Wachse verwendet werden.

Henrik Mortsiefer