Glanzloses Juwel

■ Grand Prix d'Eurovision de la Chanson: am Samstag um 21.00 Uhr, ARD

Als der MDR vor vier Jahren erstmals damit beauftragt wurde, die deutschen Geschicke in Sachen Grand Prix d'Eurovision de la Chanson in die Hand zu nehmen, dachte man senderintern noch, ein dickes Juwel aus dem ARD-Geschmeide zugeteilt bekommen zu haben. Inzwischen weiß man im Dresdner Gefilde des Senders, daß man sich ein faules Ei eingehandelt hat, das von den westdeutschen TV-Anstalten glücklich gen Osten exportiert werden konnte.

Der Beweis wird spätestens wieder Montag früh erbracht: Der europäische Schlagerwettbewerb, einziges gemeinsames Projekt der in der Eurovision zusammengeschlossenen Fernsehanstalten, wird wieder keine samstagabendgerechte Einschaltquote erzielt haben.

Daß das so sein wird, daß also heute abend nur eine Minderheit dem trashig-festlichen Treiben zuschauen wird, liegt allerdings auch an der ARD selbst: Dem öffentlich-rechtlichen Network, vom Anspruch mindestens auf Hochkultur abonniert, war die Sendung schon immer unangenehm. Man sendete weiter, weil es wenig kostete: nur ein wenig Schminke, dann noch die Kosten, eine Delegation zum Austragungsort zu schicken, vielleicht noch die eine oder andere Mark, die Heimatjury zu verköstigen.

Die Phonoindustrie konnte sich schon 1956, als der Wettbewerb als abendländische Antwort auf den Rock 'n' Roll ins Leben gerufen wurde – deswegen auch im Deutschen der hochtrabende Titel „Grand Prix d'Eurovision de la Chanson“ –, kaum mit einer Veranstaltung anfreunden, deren Existenz zur Umsatzsteigerung wenig beitrug. Schon vor 39 Jahren war der Wettbewerb der Jugend zu unmodisch, den Älteren zu jugendlich und den anderen egal.

Dennoch hatte noch vor fünf Jahren die deutsche Phonoindustrie der ARD bedeutet, die Teilnahme am Wettbewerb nicht zu stornieren. Anders als in Italien, wo das Songfestival von San Remo zu jedem Frühlingsbeginn der einheimischen Popindustrie tagelang via TV die Möglichkeit gibt, sich darzustellen und zu werben, fehlte es nämlich in Deutschland an Sendeplätzen, die für leichte Musikunterhaltung bürgten. Inzwischen hat sich die Situation geändert. Viva, VH-1 und sowieso MTV für die Popseite, darüber hinaus RTL, Sat.1 sowie die öffentlich-rechtlichen Sender auf der Volksmusikwelle haben der Tonträgerbranche reichlich Werberaum für ihre Produkte eingeräumt.

Wozu also noch den Euro- Schlagerwettbewerb, der öffentlich als Heimsuchung gebrandmarkt ist – unabhängig von der Güte der Lieder, die dort geboten werden? Der MDR weiß es nicht: Zwar bekommt der Sender zwei Wochen vor dem Wettbewerbsabend die Videoclips der einzelnen Beiträge überspielt, könnte sie auch zumindest im Nachtprogramm schon mal vorstellen – er tut es aber nicht. Schnarch.

Eine Aufschlüsselung der Zuschauergruppen, welche diesen Abend wie alle Jahre fiebernd vor der Glotze verbringen werden, hat noch niemand unternommen. Vermutet werden darf – weshalb, muß weiterhin offenbleiben –, daß der Grand Prix manchen als Kultsendung gilt. Und, so viel Outing darf sein, von schwulen Männern wird er verstärkt gruppenweise angeschaut; mancherorts zusammen auf Feten und festlichen Abenddiners. Vergeben werden dann – und das ist eben das Besondere an dieser Sendung – Punkte, insgeheim aber auch Wertungen für Schuhe, Kleider, Frisuren und Sakkos.

Immerhin wird in diesem Jahr endlich mal ein Kenner der Szene, der Journalist Horst Senker, den deutschen Kommentar sprechen: Er selbst gehört zu den Grand- Prix-Hools, wie sie nur im Popunderground gedeihen können – hartnäckig in der Passion und unerbittlich in dem Glauben, eine gute Sache zu vertreten. Jan Feddersen