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Die Biergärten, das letzte klassenübergreifende Amüsement in München, sind durch restriktive Schankzeiten gefährdet. Gegen diese „Unverschämtheit“ (Kirk Douglas) organisierten die Münchner die gestrige Bierrevolution Aus München Thomas Pampuch

In Wirklichkeit geht's um Kultur

Das Treffen im Münchner „Augustinerkeller“ ist eher konspirativ. Zwar hat die tz, eine der beiden großen Boulevardzeitungen der Stadt, die Versammlung öffentlich angekündigt, doch hereingelassen werden nur Aktivisten – Leute, die bereit sind, auch echt zu arbeiten. Das sind an diesem Dienstagabend im Mai rund 30 entschlossene Männer und Frauen, größtenteils verdiente Mitglieder des „Vereins zur Förderung der Münchner Biergartenkultur“. Großes steht an: die „erste Bayerische Biergartenrevolution“ will strategisch vorbereitet sein. Freitag, Schlag 16.30 Uhr auf dem Marienplatz. „Jetzt reicht's!“ „Das Maß ist voll!“ „Wir sind das Volk!“

Mutter der Revolution ist Uschi Seeböck, eine fesche PR-Agentin. Ihr männlicher Counterpart, Manni Schauer, hat dafür einen Janker an und spricht wunderschönes Bayrisch. Im Hauptberuf ist er der Betreiber der berühmten Oktoberfest-Schaubude „Auf geht's beim Schichtl!“ Manni ist für den technischen Ablauf der Revolution zuständig. Als Zeugwart wird er ihr zum Beispiel die beliebte Guillotine seines Unternehmens („Heute wieder Hinrichtung!“) zur Verfügung stellen, mit der am Freitag die „Liberalitas Bavariä“ symbolisch enthauptet wird. „I mog koa Schorle“, sagt Manni, als man ihm eine hellgelbe Halbe hinstellt, „i hob a Bier b'stellt.“ Dann kommt er aber schnell auf die wirklichen Probleme und die drängenden Aufgaben zu sprechen. „Wir miaß'ma mindestens zwoahundert Ordner auf'd Fiaß kriang!“ erklärt er. „Das Kreisverwaltungsreferat rechnet mit 25.000 Menschen, pro 50 verlangen's einen Ordner! Bis jetz hamma zwölfe.“

Es ist die Kleinarbeit, an der oft das Große scheitert. Schirme werden gebraucht, ein Podest, ein Baldachin, eine Blaskapelle, ein Münchner Kindl zur Überreichung der Protestresolution, dazu Megaphone und Walkie-talkies. Man will ja „keinen Sauhaufen, sondern eine gepflegte Demonstration“. Und für alles braucht man einen Verantwortlichen. So stellt sich schnell ein Grundsatz jeder demokratischen Revolution ein: „Leitl, wir müaß'ma delegier'n!“

Revolution als Gaudi? Revolution für Gaudi? Dem Münchner Bierkampf haftet, soviel ist klar, etwas Postmodernes an. Seit der 22. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (VGH) am 27. April in der Sache „gestörte Anrainer gegen die Waldwirtschaft Großehesselohe“ eine Beschränkung der Betriebsstunden des beliebten Biergartens (2.000 Plätze) auf die Zeit bis 21.30 Uhr (Schankschluß um 21 Uhr) zur „naheliegendsten Maßnahme“ erklärt hat, ist München aus dem Häuschen. Die tz hat sich zum Zentralorgan der Bewegung ernannt und eine Aktion „Rettet die Biergärten“ ins Leben gerufen. 100.000 Unterschriften wollte man gegen den frühen Ausschankschluß zusammenbekommen, am Freitag morgen sind es bereits 140.000.

Viel ist dieser Tage von Münchner Lebensart, von Tradition und Lebensfreude die Rede. Die Koalition der Bewahrer alten bayrischen Brauchtums ist groß: Sie reicht von SPD-Oberbürgermeister Ude bis tief in die Reihen der CSU, von der grünen Bürgermeisterin Sabine Csampai („Der Biergarten ist ein bedeutendes Feuchtbiotop“) über Durchreiser wie Kirk Douglas („Eine Unverschämtheit!“) bis zu – wie Gerüchte wissen wollen – Kanzler Kohl, der am Freitag in München ist. Landesvater Edmund Stoiber seinerseits will den Demonstranten von seiner Staatskanzlei entgegenkommen, um ihre Resolution an der Feldherrnhalle eigenhändig entgegenzunehmen.

Freilich, es gibt auch Feinde der Revolution. „Es gibt keine Parteien mehr. Es gibt nur noch Trinker“, muffelt der aus München in die trockenen Amtsstuben des Spiegel übergesiedelte, sonst so launige Claudius Seidl. Um dann hämisch den Kulturbegriff als ein Zählen der im Maßkrug ersaufenden Fliegen zu verorten. Dabei hätte er es mit ein bißchen Feinfühligkeit ohne weiteres zum revolutionären Kulturkommissar bringen können.

Denn um Kultur – Seidl hin, Maßkrug her – geht es nämlich wirklich bei der ganzen Gaudi. Auch wenn sie (und nicht ganz ohne Schuld mancher Protagonisten) nördlich der Donau als folkloristische Zusammenrottung von Bierdimpfln erscheinen mag. Kaum jemand, der in München lebt – oder auch nur vorbeischaut –, wird die Segnungen der Biergartenkultur in Abrede stellen. Man mag Bier schätzen oder nicht, allein schon das Sitzen an den derben Tischen unter lauschigen Kastanien, wenn der Alpenfallwind (Föhn) sanft die Haut streichelt und Nachbar und Nachbarin zusammenrücken, ist eine verteidigungswürdige Kulturerrungenschaft. Daß die jahrhundertealte „Bayrische Biergartenordnung“ den Verzehr selbst mitgebrachter Speisen ausdrücklich erlaubt (nur die Getränke müssen gekauft werden), gibt der Institution eine soziale, daß dabei Produkte wie Brezen, Radi und Obazta, aber auch Steckerlfisch, Schweinshaxn und Leberkäs verspeist werden, eine kulinarische Dimension. Und daß all diese Freuden nicht mit der Dunkelheit enden, sondern bis 11 oder gar 12 Uhr nachts gestreckt mit ein paar Maß gerundet werden können, ist nun in der Tat eine Frage von Lebensqualität.

In einer ansonsten von Szenetreffs gekennzeichneten Gastronomie-Landschaft ist der Biergarten dabei – trotz aller auch hier wirkenden zentrifugalen Kräfte – immer noch ein klassenübergreifendes Amüsement. Schon deshalb wundert in München die Einheitsfront gegen den drohenden Zapfhahninterruptus niemanden. Würde das Urteil Schule machen, so hätte das neben der Bedrohung des „naturnahen Raumes aller dort ansässigen Arten“ (Csampai) also auch eine weitere Zersplitterung eben dieser Arten zur Folge. Daß es Schule macht, beweist eine (lancierte?) Hiobsbotschaft vom Donnerstag: Ein Oktoberfest-Anrainer will mit einer Verwaltungsklage nun auch auf der Wiesn den Schankschluß um 21 Uhr (bis jetzt 22.30 Uhr) durchsetzen.

Klagende Anrainer von Freischankflächen, die sich aus verständlichen Gründen in München sehr bedeckt halten, sind freilich nur die Charaktermasken der jetzt akut gewordenen Konterrevolution. Der wahre Hauptfeind eines ungetrübten Biergartengenusses sind zum einen bestimmte Gesetze und Verwaltungsvorschriften, zum anderen aber auch gewisse Verhaltensweisen mancher Freunde des unüberbedachten Trinkens.

Das „Immissionsschutzgesetz“ zum Beispiel limitiert die nächtliche Lärmbelästigung auf Dezibelwerte, die nach neuesten Messungen selbst vom Rauschen der Isar übertroffen werden. Aufgrund dieses Gesetzes gelang es vor kurzem einer Klägerin, eine der besten Münchner Kabarettbühnen, das Schwabinger „Lustspielhaus“, monatelang schließen zu lassen, weil sie sich in ihrer Wohnung über dem Saal gestört fühlte.

Das andere Problem ist geeignet, einen erfrischenden Spaltpilz in die sonst so geschlossene Front der Biergartenverteidiger zu tragen. „Das Problem“, sagt etwa Bürgermeisterin Csampai, „ist ja nicht die Sperrzeit, sondern die Art und Weise, wie die Leute die Lokale aufsuchen, nämlich mit dem Auto. Weil sie irgendwann aus dem Lokal herausbrechen, in ihre Autos springen, sie anlassen und dann in eine anderes Viertel fahren und in die nächste Kneipe gehen. Das ist die Belästigung.“ Ob die Benutzer der zwischen dem feinen BND-Pullach und den Bavaria- Filmstudios gelegenen Waldwirtschaft solche Analysen gern hören, ist zu bezweifeln. Erziehung tut jedenfalls not, sowohl für die überempfindlichen Anrainer wie für die Jetset-Biergartler. Es gibt genügend Biergärten in München – allein 28 große –, sie alle sind gut zu Fuß, mit dem Rad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. „Man muß ja nicht unbedingt quer durch München in den Biergarten düsen.“

Zur echten Avantgarde der Revolution aber wird die Bürgermeisterin mit einem Vorschlag, der die Massenbasis wohl noch finden muß: „Was die einfachste Handhabung wäre: Einen Monat lang vor jeder Bierwirtschaft eine Alkoholkontrolle der abfahrenden Gäste durch die Polizei. Das ist die einfachste Variante, um jedem deutlich nahezulegen, daß er am besten nicht mit dem Auto kommt.“

Und auch ihren Trotzki hat die Bewegung gefunden. Herr Hirnbeiß von der Abendzeitung empfiehlt die permanente Revolution: „Des sitz ma aus.“

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