Nachschlag

■ Ein Fax an Kolumbus von Denise Stoklos im HKW

Soviel ist klar: Die brasilianische Performerin Denis Stoklos hat in Berlin ihre eigene Fangemeinde, und das nie geschickte Fax an Kolumbus ist nur der Aufhänger für ihre Performance, mit der sie am Wochenende im Rahmen des Programms „Neue Kunst aus Lateinamerika“ im Haus der Kulturen der Welt auftrat. Das Fax steht für Theater, und Kolumbus ist Metapher „für die Misere, in der wir alle stecken. In manchen Ländern ist es ökonomisches Elend, in anderen ist die Misere psychologischer, mentaler oder poetischer Natur.“ Kaum war sie auf der Bühne, verbreitete sie eine Unruhe, als wäre sie ein gefangenes Tier, warf mit Wörtern um sich wie andere mit Steinen. Sie schrie nach Revolution; das Publikum lachte. Das treibt an. Nachdem die Performerin im Schnelldurchgang eine Einführung in das von ihr dargestellte Chaos bot, brach sie ab, ließ die Türen öffnen und forderte diejenigen im Publikum auf zu gehen, die jetzt schon wüßten, daß sie den restlichen Abend nicht mit ihr verbringen wollten. Alle blieben.

Kaum waren die Türen wieder zu, ging es weiter wie vorher. Welche Art der Übertreibung man wählt, ist eine ästhetische Frage. Denise Stoklos rast über die Bühne, als wäre sie die Inkarnation des Wahnsinns der letzten 500 Jahre, sie reißt ihren Mund auf, als müsse sie Goya Modell stehen, und ihr abgerissenes Outfit läßt keinen Zweifel daran, daß sie die einzig Überlebende des Schiffes „Santa Maria“ ist, die jahrhundertelang auf ihren Auftritt gewartet hat.

„Essentielles Theater“ nennt die Performerin ihre Kunst. Worte sollen dabei in Lautgemälde, Bedeutung in Bewegung umgesetzt werden. Wer von der Rückführung auf das Essentielle eine Vereinfachung erwartet, denkt den Begriff zu einseitig. Das Gegenteil ist der Fall. Hier werden alle Register der Schauspielkunst gleichzeitig gezogen und deshalb bleibt am Ende wenig übrig. Denise Stoklos hat über Unterdrückung geredet, Freiheit gefordert, Bücher und Mehl um sich geworfen, sich ihre Haare mit Sekt gewaschen, geschrien, getobt, getanzt. Überzeugt aber hat sie vor allem dann, wenn sie nicht alles gleichzeitig getan hat und ihre eigene Lebenserfahrung mit in ihre Aktion einbaute. Das ist selten genug. Ihr Tanz der Häßlichkeit auf einem Stuhl, währenddem sie 500mal „genug“ schrie, ohne das Wort auszusprechen, ist ein Bild, das eine Weile bleibt. Am Schluß entläßt sie das Publikum mit einem Körnchen versöhnlicher Philosophie: Die Suche nach dem Glück ist unser Lebensantrieb, und das Leben bietet immer die Möglichkeit, etwas zu ändern. – So long Kolumbus, ade! Waltraud Schwab