Schröder wird Ehrenbauer

Etwa 10.000 Menschen und 300 Trecker sind zur ersten Großdemonstration gegen die Atomkraft nach dem Castor-Transport gekommen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Adi Lambke hat um halb zwölf als erster die hannoversche Stadtgrenze passiert. Er läßt sich von der Kühle und Nässe dieses Samstags nicht verdrießen. „Bin schon vor sechzehn Jahren vorn gefahren.“ Damals zogen sie gegen den CDU-Ministerpräsidenten Albrecht nach Hannover, heute soll „Gerd Schröder Contra kriegen“.

Adi Lambke will alle Atomanlagen sofort stillegen, vor allem aber den Castor: „Die Transporte wollen wir behindern bis die müde werden.“ Den Ministerpräsidenten kennt er persönlich, der war vor fünfzehn Jahren sein Strafverteidiger. Jetzt steht auf seinem Transparent, daß „Schröder und Merkel zusammen ferkeln“.

Grün sind die Trecker, grün die Fahne der Republik Freies Wendland und derb die Plakate. „Kohls gegrilltes Ferkel“ reimt sich auf „Merkel“; auch mit einem „Eimer Scheiße“ wird die Bundesumweltministerin verglichen. Wohl wahr: „Der Mai ist gekommen – die Bauern schlagen zu.“ Der Treck ist eine gute halbe Stunde zu spät, als er sich dem Hauptbahnhof nähert. Die 5.000 der Auftaktkundgebung am Raschplatz, auf der Adi reden wollte, stehen schon jubelnd Spalier. An die 300 Traktoren sind es geworden, Biobauern sind aus dem Umland, aus Göttingen und Nordrhein-Westfalen sind dabei. Die BI Lüchow-Dannenberg, die mit siebzehn Bussen angereist ist, darf mit einen langen Transparent den größten der drei Umzüge anführen: Gelbe Atommüllfässer rollen auf die Fahrbahn, Trommeln dröhnen, Lärm aus Trillerpfeifen, AKW-Gegner mit grauen Schläfen und weißen Schutzanzügen, alle zwei, drei Meter ein Transparent. Hinter „Tschernobyl nie wieder“ zeigen die Grünen Flagge, dann folgt: „Morsleben stillegen – Kinder haften für ihre Eltern.“

Das Wetter hält sich, die Demo feiert sich selbst: „Mitmarschieren!“ skandieren die einen, andere einfach: „Hey, hey, hey!“ Die BGS-Beamten, die den Hintereingang des Hauptbahnhofs schützen, waren auch vor vierzehn Tagen im Wendland im Einsatz. „Beim nächsten Transport wird es auch nicht einfacher“, meint der vielleicht zwanzigjährige Blonde, „aber mir solls gleich sein.“

Ziel ist das Leibnizufer, ein sechsspuriger Cityring, der am Landtag und dem niedersächischen Umweltministerium vorbeiführt. Das Ministerium wird von Treckern „umzingelt“, und davor wird die Wendenfahne aufgezogen, obwohl Monika Griefahn mitdemonstriert hat – zumindest zeitweise. „Weit über 10.000 sind gekommen“, kann Peter Dickel vom Vorbereitungskomitee später verkünden.

Ein Professor zitiert aus der Fachzeitschrift

Am Abend sind es dann „12.000 bis 15.000“ geworden. Vor der Tribüne hat sich der BUND mit einem großen Transparent hingestellt, und sein energiepolitischer Sprecher hat nun doch seine Bonner Sitzung geschwänzt. Links neben dem Transparent von Bündnis 90/Die Grünen haben sich der und die Parteivorsitzende eingefunden. Auch die Christdemokraten gegen Atomkraft sind dabei und weiter links will sogar ein FDP-Kreisverband „sofort stillegen“.

„1995 ist ein entscheidendes Jahr für die Atomwirtschaft“, beginnt Gerlinde Weise ihre Rede. „Die SPD soll auf ein Ja zur Atomkraft festgelegt werden. Und wir protestieren genauso gegen die Energiewirtschaft, die diese Festlegung will, wie gegen diejenigen, die sich festlegen lassen“, und dann kann die Angestellte eines Biobauernhofes lachend feststellen: „Soviel Applaus habe ich noch nie bekommen.“

Hannovers grüner Umweltdezernent fragt, „warum sich Herr Schröder beim Castor hinter Frau Merkel versteckt?“ Und für Professor Peter Hennicke, den Hauptredner vom Wuppertal-Institut, sind Schröders Energiekonsensgespräche gar „ein Tiefstand politischer Kultur“, nämlich ein „Gefeilsche um Kohle und Kernenergie, wo doch eine „Wende zur Solar- und Energiesparwirtschaft notwendig ist“. Die Gründe zitiert er aus dem Fachblatt der Atomwirtschaft: „Die heute eingeführte Reaktortechnik genügt nicht dem Anspruch der katastrophenfreien Kernenergie. Alle Anlagen weisen eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für Kernschmelzen und katastrophale Freisetzungen auf.“ Eine „gewaltige gesellschaftliche Kraftanstrengung“ sei nötig, fährt Hennicke fort, „gegen einen 100 Milliarden schweren Kapital- und Machtblock“.

Handfester stellt sich Jochen Kulow als „Biobauer aus der Republik Freies Wendland, 37 Jahre“ vor; er will den „Vorgang Gorleben so lange nicht zu den Akten legen bis abgeschaltet ist. Wir werden den nächsten Castor blockieren, bis er schwarz wird.“ Den Ministerpräsidenten hat er noch nicht ganz abgeschrieben: „Schröder, krieg den Arsch hoch und die Zähne auseinander.“ Andere vertreten den „Widerstand in allen Formen“, nicht nur in gewaltlosen. Sie wollen, „das Feuer an andere Standorte weitertragen“.

Auch Adi Lambke hat seine Rede am Ende doch noch halten dürfen. Er will Schröder zum Ehrenbauern erklären, aber nur, wenn „er sich beim nächsten Castor in die erste Reihe setzt und sich von der eigenen Polizei verprügeln läßt“.