„Revolutionäres Subjekt“ gesucht

Während HausbesetzerInnen in Leipzig am Wochenende zum „internen Kongreß“ luden, planen Dresdner BesetzerInnen mit Witz und Spaß ein neues Stadtteilprojekt  ■ Aus Dresden und Leipzig Detlef Krell

Erst einmal die Fenster putzen. Das zweigeschossige Haus steht leer, seit im September vergangenen Jahres die BesetzerInnen von der Polizei herausgeprügelt wurden. Die Jugendlichen spannen bunte Transparente ans brüchige Gemäuer, stellen ihre Musikanlage auf den Hof und kochen sich eine Suppe. Dort könnte der Buchladen hin, da das Café, in die alte Konservenfabrik auf dem Hof vielleicht das Kino. Wohnungen für 13 Leute sind geplant. An der abendlichen Besetzung nehmen 50 gutgelaunte NeustädterInnen teil. So entsteht ein neues Stadtteilprojekt, auf der Martin-Luther- Straße, mitten in der äußeren Neustadt von Dresden.

Eigentlich sollte ja ein anderes Haus besetzt werden, drei Ecken weiter, auf der Alaunstraße 84. Dort ist vor einem halben Jahr der letzte Mieter ausgezogen, nicht freiwillig. Der Eigentümer ließ Fenster und Türen zumauern. Doch kurz vor ihrer Aktion erfuhren die BesetzerInnen, daß in dem Haus Sozialwohnungen entstehen sollen, zum Quadratmeterpreis von 7,50 Mark. Eine „Verhöhnung“, meint Anne Döhler vom Kulturstadt e.V., „das können die Sozialhilfeempfänger nicht bezahlen“. In einem anderen Dresdner Sanierungsgebiet liegen die Preise deutlich unter 7 Mark. „Warum ist das in der Neustadt nicht möglich?“ So zogen die BesetzerInnen um, bevor sie einzogen.

Unterdessen treffen sich einige hundert HausbesetzerInnen in Leipzig ein. Im Connewitzer „Conne Island“ und anderen Projekten, die aus ehemals besetzten Häusern entstanden sind, wollen sie über Geschichte und Zukunft der Szene reden. Mitorganisator Torsten Grimm hält für die „zentrale Frage“ dieses bundesweiten Kongresses: „Für wen und mit welchem Ziel wird besetzt? Also, gibt es noch eine Suche nach dem revolutionären Subjekt? Gibt es eine Einbindung in den Kiez, sind deine Nachbarn auch deine Mitstreiter, obwohl sie mit deinen politischen Vorstellungen gar nichts zu tun haben, nur neben dir wohnen?“ Der Wunsch, zu dem Treffen einzuladen, kam den LeipzigerInnen in einer Zeit, da viele ihrer Projekte von Schließung bedroht sind. „Deshalb interessieren uns Erfahrungen aus anderen Städten.“

Bild und Morgenpost fieberten sogleich „6.000 Chaoten“ entgegen, und auch die CDU-Opposition im SPD-regierten Rathaus wußte genau Bescheid: „Offenbar wird versucht, Leipzig zum Mekka der deutschen Hausbesetzerszene zu erheben.“ Presseteams reisen an und werden in das Pressebüro bestellt: „Der Kongreß ist intern!“ Ein Leipziger MDR-Team fleht um Drehsekunden, „damit wir zeigen können, daß hier friedlich diskutiert wird.“ Im Café stellt jemand mit geschäftigem Befehlston klar: „Wir haben nur gestattet, daß die Gulaschkanonen gefilmt werden!“ Presse ist verpönt, „Häuserkampf“ vielleicht doch nur der private Abenteuerspielplatz. Ein Arbeitskreis müßte sich mal mit der sonntäglichen Abschlußdemo befassen. Niemand geht hin, bis die Leipziger ein Ultimatum stellen: „Ohne Vorbereitungsgruppe keine Demo!“ Am Sonntag setzt sich dann doch noch ein Zug von mehr als tausend HausbesetzerInnen in Bewegung, um für das Recht auf Hausbesetzung und gegen die Kriminalisierung zu demonstrieren. Im Kongreß-Reader wird „Ohnmacht“ beklagt, durch die „Pressehetze“ sei der Bewegung „die Solidarität der Bevölkerung entzogen worden“.

Die DresdnerInnen können sich dieser Solidarität gewiß sein. „Wir hatten eben die Straße gekehrt, da fragte die Polizei nach unseren Personalien“, erzählt Andre Förster. Nach einigem Hin und Her verabschiedeten sich die BesetzerInnen: „Also tschüs, bis morgen. Ihr könnt nun nach Hause gehen.“ Am nächsten Tag trafen sie sich wieder, zu einer kurzen Versammlung auf der Straße; „friedlich“, wie die Polizisten loben. Doch seitdem bewacht ein Streifenwagen den Hof. Die Beamten kommen zu bemerkenswerten Einsichten: „Jetzt passen wir schon auf Ruinen auf. Als ob es in der Stadt gar nichts Wichtigeres gäbe.“ Das Wichtigste für die BesetzerInnen ist nun, „so oft wie möglich am Haus präsent zu sein.“ Für sie steht fest, so Pit Tirpitz: „Das ist unser Haus! Wir werden nicht länger zusehen, wie es verfällt.“ Das Amt für Denkmalschutz bekommt eine Anzeige gegen den Eigentümer, der an dem geschützten Haus „seit 1990 keinerlei Sicherungsmaßnahmen eingeleitet“ habe. Demnächst wollen die BesetzerInnen die AnwohnerInnen zu einem Forum einladen, „da erklären wir, was wir wollen: Ein selbstverwaltetes Zentrum zum Wohnen, Arbeiten und Kulturerleben.“

Das Projekt „Lu 16“ setze auf „Witz und Spaß“. Nicht mit der Polizei wollen sie sich herumschlagen, sondern mit den Politikern dieser Stadt. „In Dresden wird doch die Leipziger Linie viel repressiver durchgesetzt“, erinnert Förster an den jahrelangen und oft vergeblichen Kampf der NeustädterInnen gegen die Vertreibung der Mieter. „Ich glaube nicht, daß es lohnt, sich jeden zweiten Tag auf Straßenkämpfe mit der Polizei einzulassen.“