■ A Star is born: Der Innenminister als Anti-Haider
: Wien an einem Wendepunkt

Erst seit April amtiert Caspar Einem als österreichischer Innenminister. Doch in diesen paar Wochen hat er sich beachtlich in die Karrierekurve gelegt: Vor zwei Wochen noch stand der Minister knapp vor dem Aus, derweil ist er zum neuen Star auf der Politbühne geworden. Für beides trägt Jörg Haider die Verantwortung, denn der Führer der F-Bewegung hat sich den links-liberalen Ressortchef zum Hauptfeind erkoren und eine beispiellose Kampagne gegen ihn entfacht.

Es begann mit dem ebenso trivialen wie dummen Vorwurf des Populisten, der Minister habe innige Kontakte zur „linksextremen Terrorszene“. Dabei existiert eine solche gar nicht. Zwar gab es nach einer Serie rechtsextremistischer Bombenanschläge kurz nach Einems Amtsantritt erstmals seit langem wieder eine Gewalttat, die der autonomen Szene zuzuschreiben ist; zwei Männer haben versucht, einen Strommast zu sprengen. Der Strommast blieb stehen – die Attentäter waren tot. Die schlichte Einsicht, daß Selbstmord keine strafbare Handlung ist, wollte freilich nicht recht verfangen – im Gegenteil, ein hysterischer Zank, wie gefährlich denn eigentlich die „linke Szene“ sei, hob an.

Nicht zuletzt, weil diese beiden Männer einem Milieu entstammen, zu dem der einstige Bewährungshelfer Caspar Einem eine Vielzahl von Kontakten pflegte: aus der Häuserkampfszene der achtziger Jahre und dem autonomen Milieu, dessen politischer Teil sich in Österreich um die Zeitung TatBlatt formiert hatte. Den TatBlatt-Machern hatte Einem mehrmals Geldspenden zukommen lassen. Sein Kontaktmann war jener Gregor Thaler, der sich nun bei dem versuchten Sabotageakt tödlich verletzt hatte. Zweifellos ein unkonventionelles Verhalten für einen nachmaligen Innenminister.

Kaum verwunderlich also, daß Jörg Haider die Chance wahrnahm, einen Innenminister ans Bein zu treten, der „linksextremen Terror finanziert“, doch auch die gesamte Presse des Landes stimmte in einen Chor ein, der nur über wenige variable Tonlagen verfügte: Die Stimmen reichten von „Einem muß weg“ bis zu „Einem wird sich nicht halten können“.

Sie alle wurden nun eines besseren belehrt. Denn in einer TV-Sendung stellte sich Einem seinem Kontrahenten Haider. Dem Innenminister sprang zudem ein Mann bei, der bis dato einer der – unter Sozialdemokraten – bestgehaßtesten Oppositionspolitiker war: der Grüne Peter Pilz, einst „Aufdecker der Nation“. In den achtziger Jahren war er der damaligen SP-Spitze auf die Schliche ihrer krummen Touren gekommen, worauf diese sukzessive zurücktreten mußte. Nun sprang er Einem zur Seite, gemeinsam gelang ihnen, was zuvor noch nie geschehen war: Der gewiefte Demagoge Jörg Haider wurde in der TV-Diskussion derart vorgeführt, daß mit einigem Recht von einer öffentlichen politischen Hinrichtung gesprochen werden kann. Aus dem Angreifer Haider war flugs ein „Angeklagter“ geworden, der den im Medienzeitalter fatalsten Eindruck hinterließ: Er wußte sich nicht mehr zu helfen.

Tags darauf frohlockte Kanzler Franz Vranitzky vor 30.000 Anhängern, daß von jenem, „der auszog, einen unserer Minister zu Fall zu bringen, nichts übrig geblieben ist“. Über Nacht wurde Einem nicht nur zum Geheimtip für ein mögliches rot-grünes Bündnis der Zukunft, sondern zum neuen Helden der österreichischen Sozialdemokratie. Am Aufmarsch zum 1. Mai trugen viele Spruchbänder den Schriftzug: „Alle für Einem – Einem für alle“.

Dieser schöpfte Mut: „Ich werde das durchstehen. Weil es sich lohnt.“ Lohnend ist dieser Kampf tatsächlich, weil ein dem rot-grünen Milieu entstammender Innenminister immer von einer populistischen Law-and-order-Rechten gejagt würde, egal zu wem er Kontakte hätte oder nicht hätte. Die SPÖ, in der Koalition mit der christdemokratischen Volkspartei an die konservative Mitte gebunden, durch einen langjährigen rechts-sozialdemokratischen Kurs diskreditiert, hat einen attraktiven neuen Helden, der einen Kurswechsel glaubwürdig verkörpert.

Kaum eine Woche nachdem praktisch alle Blätter des Landes Einems baldigen Abgang verhandelten, erzielte der Innenminister furiose Werte in der Bevölkerung: 61 Prozent der Österreicher votierten dafür, daß Einem im Amt bleibt, bloß 21 für einen Rücktritt – selbst unter den Haider-Anhängern waren 39 Prozent dafür, daß der Hauptfeind ihres Idols weiterhin als Polizisten-Häuptling amtiert. Die Sozialdemokratie, deren Chef Franz Vranitzky seit der Wahlschlappe des Vorjahres als „lame duck“ gilt, hat nun ein neues Zugpferd. An öffentlichen Auftritten und Kabinettssitzungen nimmt Einem demonstrativ an der Seite des Regierungschefs teil, als wäre er der geheime Vize-Kanzler.

Die politischen Lager gruppieren sich um: Sozialdemokraten, Grüne und das Liberale Forum gerieren sich, als befänden sie sich schon längst in einer Koalition – eine Option, die nach 1998 einige Chancen auf Verwirklichung hat, Chancen, die mit der öffentlichen Versöhnung des grünen Vormannes Pilz mit der Partei, der er ursprünglich entstammte (er war in den siebziger Jahren wegen „Trotzkismus“ aus der SP-Studentenorganisation ausgeschlossen worden), noch gewachsen sind.

Offenkundig, daß der furiose Aufstieg Caspar Einems mehr ist als bloß eine Personality-Story, gemäß dem Motto: „A Star is born.“ Denn der Kurswechsel deutete sich längst an, bloß eine Frage der Zeit blieb, bis eine Figur auftauchen würde, die ihn glaubhaft trüge. Denn von der Fundamental- Opposition Jörg Haiders gejagt, mehr auf Verderb als auf Gedeih in die Große Koalition mit der ÖVP gepfercht, dämmerte auch der SPÖ, daß ein Ausweg aus der politischen Depression gefunden werden müsse; solange die Große Koalition als einzige, alternativlose Regierungsoption erscheint, wird Haider gewinnen. Wo Wahlen keinen Einfluß auf die Regierungsbildung zu haben scheinen – und das war seit der Bildung des rot- schwarzen Kabinetts 1986 so –, triumphiert an den Urnen beinahe notwendigerweise populistische Fundamentalopposition.

Dennoch bleibt Einems Triumpf mirakulös: In einem Land, das bisher hauptsächlich Untertanen-Mentalität honorierte, in dem unkonventionelle Politiker beinah als behindert galten, Engagement für Randgruppen der Hautgout des Kriminellen anhaftet, wird ein diskursiver, ichstarker „Minister Courage“ plötzlich zum Hoffnungsträger eines sich formierenden politischen Lagers.

Es sollte nicht verwundern, wüchse in Caspar Einem, neben der Freude, alles überstanden zu haben, nicht auch ein hohes Maß an Skepsis. Die Gefahr, daß er an den Hoffungen, die sich jetzt auf ihn richten, scheitert, ist groß. Robert Misik