Die Einkreisung des Shoko Asahara

Die japanische Polizei glaubt nunmehr alle Beweisstücke in der Hand zu haben, um dem Guru der Aum-Sekte die Giftgasanschläge in der Tokioter U-Bahn anlasten zu können  ■ Aus Tokio Georg Blume

Nicht wie ein Paukenschlag zum Abschluß einer erfolgreichen Enquete, sondern wie das letzte gesetzte Teil eines Krimi-Puzzles plant Japans Polizei in den Morgenstunden des heutigen Dienstag ihren großen Coup: die Festnahme des Shoko Asahara.

Der 40jährige Guru der Sekte „Aum Shinrikyo“ (Erhabene Wahrheit), mutmaßlicher Anstifter zu den tödlichen Giftgasanschlägen in der Tokioter U-Bahn im März, hockt offenbar seit Wochen in einem der Polizei wohlbekannten Versteck auf einem Sektengelände in der Nähe des Bergs Fujiyama. Dort wollen die Polizisten Asahara heute in aller Früh aufstöbern, um ihn nicht etwa wie bisherige Sektenmitglieder als Falschparker oder Ladendieb festzunehmen, sondern den Guru gleich des höchsten Verbrechens zu verklagen: des Mordes. Läuft alles wie geplant, darf der schon um seinen Rücktritt bedrängte sozialdemokratische Premierminister Tomiichi Murayama aufatmen und die japanische Polizei einen in ihrer Geschichte beispiellosen Erfolg verbuchen: Möglicherweise gelingt es nun, ohne weitere Opfer eine Terroristengruppe auszuheben, die nichts Geringeres als den tausendfachen Massenmord plante und schon dreizehn Menschen getötet hat.

Im Rückblick scheint sich damit zu bewähren, daß die Polizei gleich nach den U-Bahn-Anschlägen am 20. März, als an einem Tag sechs Menschen getötet und fünftausend verletzt wurden, auf sofortige Festnahmen der damals schon verdächtigten Sektenführer verzichtete. Das entsprach dem ohnehin üblichen Vorgehen der japanischen Behörden, Festnahmen erst dann zu vollziehen, wenn vollständiges Beweismaterial vorliegt. Es folgten also zunächst die langwierigen, oft kritisierten Ermittlungen, welche die Hauptverdächtigen erst nach und nach einkreisten. So verhörte man zuerst nur Sektenmitglieder, die ohnehin die Gruppe verlassen wollten und daran teilweise gewaltsam gehindert worden waren. Die von ihnen erlangten Auskünfte halfen der Polizei, den komplizierten Sektenapparat, der nach dem Vorbild einer Regierung mit zahlreichen Ministerien, Geheimdienst und Armee organisiert war, zu durchschauen und die Entscheidungsträger ausfindig zu machen.

Parallel dazu untersuchten Chemiker der Polizei mit Baggern und Pinzetten die Gelände, Gebäude und Labors der Sekte – acht Wochen lang. Ihre Aufgabe war es, Spuren des Supergiftgases Sarin zu entdecken, das bei dem Attentat am 20. März in Plastiktüten verpackt in der U-Bahn deponiert wurde. Zunächst stießen die Suchtruppen dabei auf Tonnen von Rohchemikalien und eine vollausgerüstete Chemiefabrik, die die tägliche Herstellung von einer Tonne Sarin erlaubt hätte – winzige Mengen sind für einen Menschen tödlich. Die Polizei glaubt, daß die Sarin-Produktion vor Ort bereits angelaufen war.

Allmählich kamen so konkretere Indizien ans Licht: Eine Verpackungsmaschine wurde sichergestellt, mit der die Plastikbeutel für das Sarin-Attentat mutmaßlich gefertigt wurden. In den Labors fanden Experten Stoffrückstände der bei dem Attentat verwandten chemischen Lösungsmittel für Sarin. Allein das alles hätte nicht gereicht, denn es fehlten noch die verantwortlichen Täter. Die gut geführte Mitgliederdatei der Sekte brachte die Ermittler schließlich weiter. Wie aussichtslos es am Anfang auch erschienen sein muß, den vom Attentat betroffenen Fahrgästen des 20. März die Karteibilder von Hunderten von Aum- Mitgliedern vorzulegen – am Ende meldete die Polizei mit dieser Methode Erfolg. Am Montag gaben die Behörden jedenfalls bekannt, daß zehn Sektenmitglieder als die mutmaßlichen Täter des 20. März verhaftet wurden. Die Polizei setzte außerdem den 25jährigen „Geheimdienst“-Chef von Aum Shinrikyo, Yoshihiro Inoue, fest, der als mutmaßlicher Kommandochef der U-Bahn-Anschläge bezeichnet wurde.

Wie weit damit auch die Überführung des Shoko Asahara gelungen war, schien an der Reaktion von Sektensprecher Fumihiro Joyu ablesbar: Er distanzierte sich gestern öffentlich von Inoue, um seinen Chef Asahara weiterhin unschuldig zu sprechen. Zu was diese letzte Ausflucht der Guru-Gläubigen noch nützte, dürfte sich indes schon heute zeigen.