Ratte platt! Von Andrea Böhm

Auf eines kann man sich bei der Washingtoner Stadtverwaltung wirklich verlassen. Wenn sie ankündigt, etwas nicht zu machen, dann wird es auch wirklich nicht gemacht. In diesem Fall geht es um die städtische Dienstleistung des Recyclings von Glas, Plastik und Zeitungspapier, die im Angesicht eines Haushaltsdefizites von 700 Millionen Dollar angeblich nicht weiter aufrechtzuerhalten ist. Also zieren seit einigen Tagen säuberlich geschnürte Zeitungsstapel und Kartons mit Flaschen die Bürgersteige.

Und um noch ein bißchen mehr zu halten als versprochen, wurde der restliche Müll in zahlreichen Häuserblocks auch nicht – oder erst Tage später – abgeholt.

Tröstlich ist, daß die Müllabfuhr Sinn für soziale Gerechtigkeit zeigte und Tüten und Tonnen nicht nur in armen, sondern auch in reichen Vierteln stehenließ. Das freut allerorts des Städters hartnäckigste Untermieter, die Ratten, die derzeit nur ihre eigene Gefräßigkeit zu fürchten haben. Häufig ist der Wanst so voll, daß sich der Nager nicht mehr rechtzeitig vor einem herannahenden Autoreifen in Sicherheit bringen kann, weshalb es auf Straßen und Hofeinfahrten häufiger „Ratte platt“ zu bewundern gibt.

Nein, die Müllmänner sind nicht schuld. Schließlich haben sie nicht die Haushaltspolitik einer unfähigen Stadtregierung und die Gängelung durch einen überwiegend weißen US-Kongreß zu verantworten, der die überwiegend schwarze Stadt noch nie besonders mochte. Die durchaus arbeitswilligen Müllmänner haben folglich noch nicht mal das Geld für Ersatzreifen, um ihren ramponierten Fuhrpark wieder in Ordnung zu bringen. Lastwagen aber braucht die Müllabfuhr. Nicht nur um den Müll abzuholen, sondern auch um mehr Ratten totzufahren.

Zu allem Überfluß mußten die Bürger der Stadt am Montag in der Washington Post lesen, daß ihr Bürgermeister auf seiner letzten Auslandsreise weitere finanzielle Verpflichtungen eingegangen ist. Wie berichtet, hatte Marion Barry auf einer zehntägigen Reise durch westafrikanische Länder unter anderem schweißtreibende Verhandlungen über den Import von Ananas aus Guinea nach Washington geführt. Beim Zwischenstopp in Côte d'Ivoire wurde Barry in der Kleinstadt Sikensi in einer feierlichen Zeremonie mit dem Titel des yede, des ältesten Sohnes der Stadt, geehrt.

Das bringt nicht nur Ehre, sondern auch Pflichten. Denn der yede ist für das Wohlergehen der Gemeinde zuständig. Die Bürger von Sikensi hätten für den Bau ihres Rathauses nun gerne etwas finanzielle Hilfe aus Washington. Schließlich sei Barry doch Bürgermeister der Hauptstadt der einzigen Supermacht. Da wird der yede doch wohl ein wenig Geld auftreiben können, zumal ihm die Stadt Sikensi auch noch einen Hektar Land geschenkt hat. Darauf soll sich Barry der Tradition gemäß ein Haus bauen, um seine Verbundenheit mit der neuen Gemeinde zu demonstrieren.

Vielleicht überdenken die Bürger von Sikensi die Angelegenheit noch einmal, wenn sie erfahren, daß ihr neuer yede nicht ganz billig zu haben ist. Seinen Bürgern in Washington hat er, wie berichtet, für Alarmanlagen und Sicherheitszäune rund um sein Haus eine Rechnung von 90.000 Dollar gestellt.