■ Wühltisch
: Die Mehrzweckwaffe

Power Ace, Sophist-O-Twist, Quick'n Brite und Gartenkralle – so heißen die wundersamen Dinge, für die das Werbefernsehen privater Sender eine stattliche Staffel kleiner Demonstrationsfilmchen bereithält. Tele- Shopping heißt die internationale Veranstaltung, zu deren Produktpalette beispielsweise der Schraubenzieher zählt, mit dem man um die Ecke drehen kann. Oder die Bratpfanne, die eklige Fettspritzer unterm Deckel hält und dabei noch schonend gart. Den praktischen Dingen des Tele-Basars gemeinsam ist ihre vielseitige Verwendbarkeit. Unter Ausnutzung der Hebelgesetze erfüllt die Gartenkralle die Funktion von Harke, Hacke und Spaten, und das Power Ace kommt als Notstromaggregat in der Umhängetasche daher. Wenn der Motor keinen Ton mehr von sich gibt, ersetzt der handliche Beutel Überbrückungskabel und Zweitauto. Wer häufig vergißt, das Licht auszumachen, für den wird das Power Ace bald zum unverzichtbaren Tornister. Taschenlampen, Feuerzeuge und mittelgroße Atomkraftwerke lassen sich scheinbar mühelos anschließen. Die elegante Stromspende erweist sich als Kavaliersakt wie das Feuergeben.

Die Mehrzweckwaffe huldigt dem Schnäppchenprinzip. Es kann nicht nur Geld gespart werden, sondern auch die Funktion anderer Geräte bei gleichzeitiger Demonstration von Modernität. Das kann schiefgehen, denn die Funktionstüchtigkeit der diversen Anwendungsmöglichkeiten ist nicht durch jahrzehntelangen Gebrauch verbürgt. Weil es sich stets um Neuheiten handelt, gehört zur Kaufentscheidung Risikobereitschaft und der Wille zu Distinktionsgewinnen. Der tägliche Einsatz von Dingen, die andere gar nicht kennen, kann Freude bereiten. Die Mehrzweckwaffe kommt besonders vor dem Hintergrund gesteigerter sozialer Mobilität zum Tragen. Sie hat den Typ des kritischen Verbrauchers im Visier, der viel auf sich hält, weil man ihm nicht alles andrehen kann. Er setzt auf Wert statt Billigware, Marke statt No-name, Funktionalität statt Schnickschnack.

Genau hier will ihn die Mehrzweckwaffe treffen. Sie entstammt derselben Quelle wie das Qualitätsprodukt. Ihr Wasser ist die an den Theorien des Bauhauses geschulte Reflexion über Zwecke. Die Gartenkralle ist Bauhaus pur, indem sie die Nützlichkeit bekannter Geräte zu kombinieren verspricht. Der kritische Verbraucher, der die Tücke des Objekts natürlich sofort wittert, wirft ein ideengeschichtliches Mißtrauen gegen die Neuheit ins Feld. Wenn ihre Anwendung praktisch und einleuchtend ist, warum gibt es sie dann nicht längst? Die Innovationslust der Mehrzweckwaffe steht hier gegen die Traditionslinie des zweckgebundenen Geräts. Aber als Zeichen des sozialen Wandels sollte man dem Mehrzweckgerät weiterhin Aufmerksamkeit schenken.

Michael Rutschky und seiner kleinen Theorie des Ungeschicks verdanken wir noch den Hinweis, daß es sich bei der Mehrzweckwaffe um eine Überdetermination im Freudschen Sinne handelt. In der Vielzahl der Zwecke kann man sich schnell verheddern, und es entsteht nicht selten Slapstick. Eben das genießt der kritische Verbraucher und erfreut sich daran, daß die anderen wieder massenweise auf den ganzen Unsinn hereinfallen.

Doch quält nicht auch ihn gelegentlich die Ungewißheit, ob die eine oder andere Mehrzweckwaffe recht nützlich sein könnte? Zum Beispiel die praktische Fahrradluftpumpe von Tchibo – oder war's Eduscho –, die zugleich als Zahlenschloß dient? Harry Nutt