China gegen „spontane Erfüllung der Wünsche“

■ Der Dalai Lama hat einen Nachfolger des zweithöchsten Vertreters des tibetischen Buddhismus ernannt / Peking verschärft Repression in Tibet

Delhi (taz) – Der tibetische Dalai Lama hat am Sonntag im indischen Dharamsala den Nachfolger des 1989 verstorbenen Panchen Lama bekanntgegeben. Es handelt sich um einen sechsjährigen Knaben aus der Region von Lhari nordwestlich der tibetischen Hauptstadt Lhasa. Der Panchen Lama steht in der geistigen Hierarchie des tibetischen Buddhismus an zweiter Stelle hinter dem Dalai Lama. Wie dieser wird er – so will es die Tradition – sofort nach seinem Tod in einem Kind wiedergeboren.

Bis zum Zeitpunkt seiner Entdeckung vergehen einige Jahre, in denen eine Suchkommission, geleitet von Orakeln, das Land durchstreift. Wird ein zum passenden Zeitpunkt geborener Knabe gefunden, muß er, bevor er dem Dalai Lama vorgeschlagen wird, eine Reihe von Prüfungen bestehen. Dazu gehört es gewöhnlich, daß der Kleine religiöse Gegenstände oder Situationen aus dem Leben des Vorgängers wiedererkennt.

Diesmal gestaltete sich die Suche besonders schwierig, da sich die chinesische Regierung gegen eine Einmischung der „Dalai Clique“ sträubte. Der Dalai Lama hatte 1991 von seinem Exil im indischen Dharamsala aus der chinesischen Regierung vorgeschlagen, für die Suche des elften Panchen Lama eine Delegation nach Tibet zu senden, die mit den Mönchen von Tashi Lhunpo, dem Sitz des Panchen Lama, zusammenarbeiten würde. China antwortete, eine Einmischung von außen sei nicht nötig, und im Frühjahr 1994 setzte die Regierung ein eigenes Komitee ein.

Peking will politisch genehmen Panchen Lama

Dieses hat seine Suche noch nicht abgeschlossen – eine Suche, die in der Meinung der Exiltibeter nun überflüssig ist, nachdem der Dalai Lama am Sonntag in einer feierlichen Zeremonie die Wahl seiner Abgesandten anerkannt hat.

Das Resultat wurde umgehend der chinesischen Regierung mitgeteilt, zusammen mit der Bitte, den Mönchen von Tashi Lhunpo die nötige Unterstützung zu gewähren, damit der Junge, der nun „Tenzin Gedhun Yeshe Trinley Phuntsog Pal Sangpo“ heißt, seine religiöse Erziehung erhalten kann. Der neue Titel heißt „spontane Erfüllung der Wünsche“ – aber es ist unwahrscheinlich, daß sich China davon leiten lassen wird.

Die tibetische Exilregierung berichtet, daß der Hauptmönch des Tashi-Lhunpo-Klosters Anfang Januar von den Behörden davor gewarnt wurde, die von der „Dalai Clique“ anerkannte Reinkarnation zu akzeptieren. Die Versammlung der Mönche beschloß dann aber dennoch, sich der Wahl des Dalai Lama anzuschließen, da das Volk nur eine solche anerkennen werde.

Der Versuch der Pekinger Politiker, Auswahl und Ausbildung des Panchen Lama unter ihre Kontrolle zu bringen, ist nicht erstaunlich: China kämpft in Tibet gegen die „Ein-Mann-Armee“ namens Dalai Lama. Daher bemüht sich Peking, eine religiöse Gegenfigur aufzubauen. Dieser Versuch allerdings war schon beim letzten Panchen Lama, der nicht ins Exil gehen konnte, gescheitert.

Die Kooperation Chinas bei der Anerkennung des neuen Panchen Lama dürfte um so schwieriger sein, als in Tibet laut Angaben aus Dharamsala eine merkliche Zunahme der Repression vor allem im religiösen Bereich festzustellen ist. Exiltibeter berichten von einer Reihe von Maßnahmen gegenüber Parteimitgliedern und Lokalverwaltungen, welche religiöse Aktivitäten erschweren soll. Sie basieren auf einer Direktive, die besagt, daß „das Konzept der Religionsfreiheit des Westens verschieden sei von jenem Chinas. Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, aber die Vorschriften der KP stehen über der Verfassung“.

Danach ist die Wahl zum Mönchtum keine freie und bedarf der Zustimmung der Regierung, ebenso wie die Rekrutierung von Mönchen durch die Klöster. Auch für deren Wiederaufbau wird inzwischen die freiwillige Arbeit von Gläubigen nicht mehr zugelassen.

Im gleichen Zusammenhang stehen die Anweisungen an alle Parteimitglieder, ihre Kinder aus den Tibeter-Schulen in Indien abzuziehen. In den öffentlichen Schulen in Tibet selber soll sich der antireligiöse Tenor inzwischen verschärft haben. Religion sei etwas für alte Leute, wurde den Kindern in der „Mittelschule Nummer eins“ von Lhasa gesagt, und sie verderbe den Kopf. Trotz den Milliarden von Yuan aus China stagniere die Entwicklung, weil die Leute ihr Geld den Mönchen zusteckten, die „sozial unproduktive Parasiten“ seien. Bernard Imhasly