■ Cash & Crash
: Beschränkte Haftung

Berlin (taz) – Doktor Jürgen Schneider möchte nach Hause zurückkehren. Was ihn daran hindert, ist ein Haftbefehl. An seiner Pleite, sagt Jürgen Schneider, ist die Deutsche Bank selber schuld. Sie habe nämlich die Verpflichtungen nicht erfüllt, die sie ihm gegenüber eingegangen sei.

Nur die deutschen Staatsanwälte machen die Sache auch jetzt noch so verfahren. Jürgen Schneider muß sein Zeugnis auf ein Tonband sprechen, tote Briefkästen aufsuchen und den Genfer Anwalt bezahlen, der das Dokument dem Zweiten Deutschen Fernsehen in Mainz übergibt. Dort verlangen weitere Leute noch mehr Geld dafür, daß sie dem Sender bestätigen, es handle sich tatsächlich um die Stimme von Doktor Jürgen Schneider.

Das Band ist gestern gesendet worden, obwohl gewisse Zweifel an der Echtheit nicht ausgeräumt sind. Nur Doktor Jürgen Schneider persönlich könnte Klarheit schaffen. Aber er kann eben nicht, weil er in Untersuchungshaft genommen würde und dann sofort sein unbeschränktes Recht der Aussageverweigerung in Anspruch nehmen müßte.

So kommen wir offenbar nicht weiter. In Voraussicht solcher Schwierigkeiten enthält deshalb das amerikanische Bankrottgesetz den Abschnitt 11. Er sieht im wesentlichen vor, daß Schuldner nichts bezahlen müssen, wenn sie pleite gehen würden, wenn sie bezahlen würden, was sie bezahlen müßten. Mit dieser Regel könnte Jürgen Schneider sein Leben genießen, statt Tonbänder zu besprechen. Denn zweifellos wäre er pleite, wenn er seine Rechnungen bezahlen würde.

Den Segen des Abschnitts 11 genießt seit gestern die gemeinsame Tochter der Pharma- und Chemiekonzerne Dow und Corning, die Silikon-Implantate für weibliche Brüste herstellt. Etwa 200 Schadensersatzklagen sind anhängig, die Forderungen summieren sich auf ungefähr vier Milliarden Dollar. Die medizinischen und ästhetischen Einwände der Kundinnen wiegen derart schwer, daß sich das Management nach eingehender Beratung dazu entschloß, vorbeugend den Konkurs anzumelden.

Der Kurs der Dow-Aktie ist noch am selben Tag um 1,25 Dollar angestiegen. Tatsächlich ist der Vorteil des Verfahrens bestechend: Weder die Prozesse noch die weiteren Geschäfte der Dow-Tochter sind davon in irgend einer Weise beeinträchtigt. Denn abgerechnet wird erst nach Jahren, nämlich nach dem Spruch der letzten Instanz. Die Forderungen der Klägerinnen können auch dann nur noch in einer Höhe geltend gemacht werden, die das schuldige Unternehmen vor der Pleite bewahrt. Weil Dow Corning bis dahin aber weiter Silikonbrüste verkauft hat, muß der Konkurs gar nicht vollzogen werden.

Fast alle haben gewonnen: Kritische Mediziner, unkritische Schönheitschirurgen, Anwälte beider Seiten, Kapitalgeber und Vertriebsfirmen. Frauen könnten einwenden, daß die leer ausgehen. Sie haben zweifellos recht, sollten aber erkennen, daß es von Anfang an nicht um die Frauen ging. Niklaus Hablützel