Zum Schießen verurteilt?

■ Desertierter Offizier der russischen Armee soll aus Deutschland abgeschoben werden

Berlin (taz) – Ist die Weigerung, sich an dem Krieg in Tschetschenien zu beteiligen, ein Asylgrund in Deutschland? Über diese Frage muß heute das Verwaltungsgericht in Hildesheim entscheiden. Die Richter haben darüber zu befinden, ob ein Offizier der russischen Luftwaffe, der im Januar nach Deutschland geflüchtet war, nach Rußland abgeschoben wird. Ibrahim D., selbst tschetschenischer Herkunft, war geflohen, als seine Einheit in den Kaukasus verlegt wurde. Von dort aus starten die Bomber in Richtung seiner Heimatstadt Grosny. In Deutschland hatte er Asyl beantragt, weil er nicht daran mitwirken wollte, seine eigenen Landsleute zu töten.

Die Behörden hatten den Asylantrag als unbegründet abgelehnt und seine Abschiebung angedroht. Das zuständige Verwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung – ohne den politischen Hintergrund zu prüfen und ohne Ermittlungen darüber, mit welcher Strafe der Deserteur nach seiner Rückkehr rechnen muß. Nach Erkenntnissen von amnesty international wird in Rußland Desertion von Offizieren im Kriegsfall auch mit dem Tode bestraft. In Deutschland wird die Bestrafung von Deserteuren in der Regel nicht als politische Verfolgung anerkannt, sondern gilt als Recht eines Staates.

Mit Unterstützung von ai hat Ibrahim D. Klage gegen die Ablehnung eingelegt. Die Richter werden nun nicht nur zu entscheiden haben, ob einem Deserteur in Deutschland Schutz gewährt wird. Sie werden sich auch damit befassen müssen, ob der russische Feldzug gegen Tschetschenien ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist, dem sich laut der Genfer Flüchtlingskonvention Soldaten entziehen können. Vera Gaserow