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Das schlechte Bild im Quadratmeter

Das Lomo-Kamera-Werk produziert Tag und Nacht, „lustige Burschen“ gründen Botschaften – nach Wien, Moskau und N.Y. war die Lomographische Gesellschaft jetzt auch in Berlin  ■ Von Jörg Häntzschel

In der Hafenbar in der Chausseestraße sieht es aus wie in einer Skihütte. Unter der Holzvertäfelung sitzen gutgelaunte Menschen jeden Alters beim Bier zusammen, manche sprechen mit Tiroler Akzent. In der gegenüberliegenden Ecke des Raums sind mehrere Fernsehteams damit beschäftigt, das neuernannte Berliner Botschafterehepaar der Lomographischen Gesellschaft, das schwitzend kleine Fotoapparate aus russisch beschrifteten Holzkisten auspackt, vor einer Wand mit 5.000 schlechten Farbfotos zu interviewen.

Es begann nicht mit einem Konzept oder einer Begabung, sondern mit der Lomo, dem Trabi unter den Kameras. Eine Clique österreichischer Studenten hatte die russische Kamera auf einem Berliner Flohmarkt entdeckt und war sofort nach Bratislava und Moskau gefahren, um alle noch verfügbaren Exemplare aufzukaufen. Die Produktion im St. Petersburger Werk sollte bereits eingestellt werden. Im ehemaligen Ostblock kann sich für die Volkskamera niemand mehr begeistern. Der West-Nachbau war seinerzeit der einzig erschwingliche Apparat mit Belichtungsautomatik, heute überschwemmen japanische Snappies den Markt.

Die „Lomo Compact Automat“ ist schlicht, billig und macht knallige Farben. Mit ihrem lichtstarken Weitwinkel (32 mm) kann nicht viel schiefgehen. Einzige Besonderheit ist die unbegrenzt lange Belichtungszeit, die es erlaubt, auch nachts zu fotografieren. Eine simple Sucherkamera – wo ist da bitte der Kultwert?

Wolfgang Stranzinger und Matthias Fiegl gelang es, rund um das kleine schwarze Ding eine Bewegung zwischen Kunst, Medien- Hype und kollektiver Brieffreundschaft loszutreten, die sich bisher in beinahe unheimlicher Weise beschleunigte. Jetzt ist Berlin dran. In Wien und Moskau hat die Lomographische Gesellschaft (erste Regel der Kulterzeugung: ein neues Wort konstruieren und wie selbstverständlich verwenden) bereits über 1.500 Mitglieder. Für 70 Mark wird man Vereinsmitglied und erhält eine Lomo. Es kann losgehen.

Nachdem man sich vom zwanghaften Bemühen um das originelle, ausdrucksvolle Bild verabschiedet hat, wird ohne Rücksicht auf Ausschnitt, Farben oder Schärfe planlos alles geknipst, was sich vor der Linse bewegt. Durch den Sucher schauen die Lomographen möglichst selten. So entstehen Tausende von Bildern, entwickelt beim billigsten Drogeriemarkt, der zu finden ist.

Aus dem Freundeskreis wurde ein Verein (Voraussetzung für das Abschöpfen von Fördergeldern), aus dem Verein ein weltweit operierendes „Kultur-Franchising- Netz“. Neben dem Kameravertrieb (die Firma wird demnächst auch nachts produzieren, um die Nachfrage zu decken) hat die Lomographische Gesellschaft in Wien ihre Galerie „Depot“ eröffnet und steigt nun auch ins Postkartengeschäft ein.

Wie zuvor in New York und Moskau, wurde nun auch in Berlin eine „Botschaft“ gegründet, die vor Ort neue Mitglieder gewinnen soll. Diese schwärmen aus, machen Tausende von Bildern, die dann in einer anderen Kapitale ausgestellt werden, wo sie erneut den Wind erzeugen, der weitere Lomographen in Bewegung setzt.

Im Zeitalter der High-Tech-Kamera ist die Kehrtwendung zum Trash eigentlich naheliegend. Authentizität, Humor und Ironie sind ohne den Umweg über die Perfektion möglich. Beim schlechten Bild geht es sozusagen um die inneren Werte, deshalb sind auch die Größe des Abzugs und seine Präsentation unwichtig. Lückenlos bepflastern die Bildchen bei Ausstellungen die Wände. „Auf die Bilderflut antworten wir mit einer zweiten“, so Vizepräsident Stranzinger. Es gibt keine Honorare, keine Copyrights, keinen Autor und keinen persönlichen Stil. Kultobjekt ist allein die Kamera.

Aber nicht, weil sich die Lomographen ihren Roland Barthes so zu Herzen genommen haben: Obwohl sie verdammt zeitgemäß erscheinen, haben sie mit Theorie ebensowenig am Hut wie mit Kunst. Lomographie ist Hobby. Doch gerade indem sich die Lomographen sorgfältig dem Kunstbetrieb entziehen, machen sie sich diesem interessant. Von Iswestija bis New York Times, von du bis Artforum feiern alle die Lomographie. Um so mehr, als nach wie vor unklar ist, in welche Schublade man sie stecken soll. Dabei herrscht im Zentrum des Bildertornados Windstille. Die Abwesenheit eines Programms zum Programm zu machen ist nicht automatisch interessant. Denkt man sich das ganze Event-Brimborium weg, die blumige Werbe-Prosa der hochtrabenden und aufwendigen Veröffentlichungen („feel the rhythm“), bleibt nur ein Vakuum.

Während die Lomographen ursprünglich genau daran ihren Spaß hatten, leisten sich einzelne von ihnen seit kurzem einen Ansatz, stellen sich ein Thema und reflektieren ihr Medium. Die Ausstellung „Enjoy Sarajevo“ in Wien etwa war als Antwort auf das Unvermögen der etablierten Bildproduzenten konzipiert, den Alltag in der zerschossenen Stadt über Frontberichte und Waffenstillstandsverhandlungen hinaus darzustellen.

Aber im Grunde ist die Lomographie vor allem eine nette Partymode. Fiegl und Stranzinger erklären sich den neuen Boom der alten Idee auch damit, „daß wir eben lustige Burschen sind“.

Die Lomographische Botschaft Berlin wird vertreten durch Stephan Pauly und Elisabeth Breitkopf, Utrechter Straße 41, Wedding, Telefon: 4561260.

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