Geballte grüne Mittelstandsarroganz

■ betr.: „Bitte keine Billigtickets“, taz vom 6./7. 5. 95

[...] Mit Berths Stimmungsmache schlägt uns geballte grüne Mittelstandsarroganz entgegen; man wird prompt daran erinnert, wie die Grünen von politisch glaubwürdigen Umweltkämpfern zur Lobby einer ökologisch angehauchten Mittelschicht mit A13 aufwärts mutiert sind.

Wie bei Arroganz üblich, ist sachliche Auseinandersetzung nur hinderlich. So sieht Berth Massen von Berufspendlern an Samstagen (!), dann negiert er ohne Begründung den Schnuppereffekt, dabei haben sich Dumpingangebote in der Konsumgesellschaft längst als Lockmittel bewährt. Die Bahn hat so Unrecht nicht, das „Schönes Wochenende Ticket“ kann durchaus als „Einstiegsdroge“ zu einem umweltbewußteren Verkehrsverhalten taugen und viele motivieren, auch die anderen Sonderangebote der Bahn zu nutzen. Ich habe es selbst erlebt: vor Ostern mit einer Jugendgruppe auf 15-Mark- Tickets verreist, auf der Rückfahrt haben bereits einige die von mir angeregte Jugend-Bahncard (50DM) benutzt.

Doch genau das will Berth nicht: Jugendliche und Prolos mit seinesgleichen in einem Zug. Er ist arriviert; und wie alle sozialen Aufsteiger distanziert er sich nach Kräften von allen, die auf der sozialen Leiter unter ihm stehen. Frank Palm, Hannover

Die „dümmste Idee der Bahnmanager im letzten Jahr“ ist eine klare Marktstrategie mit kühlem Kalkül: Die Bahnreform sorgt ab 1. Januar 1996 dafür, daß die Bundesländer Nahverkehrszüge bestellen und bezahlen müssen. Die Bahn (Geschäftsbereich Nahverkehr) fährt nur noch ihre Züge und stellt dafür die Rechnung aus. Und die Bahn (Geschäftsbereich Netz) stellt ihre Schienen zur Verfügung und stellt dafür (sogenannte Trassenpreise) die Rechnung aus.

Da das Ganze natürlich sehr teuer ist – ein kostendeckend arbeitender ÖPNV (öffentlicher Personennahverkehr) ist immer noch nicht erfunden worden –, sind die Länder daran interessiert, nicht zu viele Züge zu bestellen. Vor allem „Geisterzüge“ am Wochenende oder am späten Abend verursachen die gleichen Kosten wie ein voller Pendlerzug, bringen aber kaum Einnahmen. Es gab und gibt immer noch sehr heere Konzepte, wie in Bayern mit einem Taktfahrplan auf allen Strecken zwischen 6 und 21 Uhr, welcher auch schwach besetzte Züge in Kauf nimmt, um ein zu allen Zeiten verläßliches Angebot zu bieten. Allerdings hat hier die Politik (klare Aussage des bayerischen Wirtschaftsministers Wiesheu) bereits zum Rückzug geblasen: Leere Züge sollen auch wiederabbestellt werden.

Die Bahn hat ein Interesse, möglichst viele Züge zu fahren, die Länder wollen – trotz Ausgleichsmitteln vom Bund – wenig Geld ausgeben. Also sorgt die Bahn dafür, daß zu Zeiten, wenn die Züge leer sind – eben am Wochenende – viele Leute mitfahren. Damit werden die Länder gezwungen, Züge auch am Wochenende zu bestellen, denn es fahren ja viele Leute mit. Ob es nach dem 1. Janaur 1996 noch das „Schönes Wochenende Ticket“ geben wird und wie viele Leute dann tatsächlich noch die Eilzüge nach Sylt und ins Allgäu verstopfen werden, ist eine andere Frage.

Ziel der Bahn AG ist ganz klar eine „Mobilisierung der Massen“, um die Länder zum Bestellen von Zügen zu zwingen. Daß dabei die Kunden darunter leiden, die sonst sowieso schon den Zug benutzt hätten – etwa weil sie nur noch einen Stehplatz bekommen –, ist unschön. Allerdings hat meiner Meinung nach diese Strategie auf lange Sicht auch die positive Auswirkung für Stammkunden des ÖPNV, daß für Pendler oder Leute, welche eine Alternative zum Kfz suchen, mehr Fahrtmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Darum: Billigtickets ja, aber bitte nicht so, sondern mit Einschränkungen, zum Beispiel einer Entfernungsbegrenzung. Alexander Besdetko, Bund

Naturschutz in Bayern e.V.,

Kreisgruppe Günzburg