„Wozu Richter, die Polizei erledigt doch alles selbst“

■ Hasan Ocak wurde von türkischen Beamten festgenommen, jetzt ist er tot

Istanbul (taz) – Die Fotos eines jungen Mannes hängen an der Wand. „Sie haben ihn entführt, und sie haben ihn massakriert“, steht darunter geschrieben. Eine ältere Frau, die an einem Tisch sitzt, auf dem rote Nelken liegen, bricht in Schreikrämpfe aus. „Diese Vampire dürsten nach Blut. Die Regierenden sind die Mörder. Wozu braucht man Staatsanwälte und Richter. Die Polizei erledigt doch alles selbst.“ Pressekonferenz gestern mittag im Büro des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) in Istanbul, nachdem die Familienangehörigen auf Fotos die durch Folter verstümmelte Leiche des seit 55 Tagen vermißten Hasan Ocak identifiziert haben. Selbst an den Anblick von Blut gewöhnte Kameramänner haben Tränen in den Augen.

Der Name Hasan Ocak wird aus der langen Liste der Vermißten gestrichen und in die Liste der unaufgeklärten politischen Morde aufgenommen. „Unaufgeklärt“ wird der Mord deshalb bleiben, weil Beweise vorliegen, daß Hasan Ocak in der Abteilung Terrorismusbekämpfung der Istanbuler Polizei in Haft war und gefoltert wurde.

Der dreißigjährige Kurde alewitischen Glaubens war kein Unbekannter für die Polizei. Bereits im Januar 1986 war er festgenommen worden. Auch damals bestritt die Polizei, daß er in Haft sei. Zwölf Tage später wurde er dem Staatsanwalt vorgeführt. In dem anschließenden Prozeß wegen angeblicher Mitgliedschaft in der illegalen linksextremen TKP-ML wurde er freigesprochen.

Zuletzt wurde Hasan Ocak am 21. März, dem kurdischen Frühjahrsfest Newroz, im Istanbuler Stadtteil Aksaray gesehen, als er von Beamten in Zivil festgenommen wurde. Doch offiziell galt er als „vermißt“. Innenminister Nahit Mentese gestand zuerst ein, daß Ocak nach dem 21. März für mehrere Tage in Polizeihaft war. Später dementierte er das. Doch Familie, Menschenrechtsorganisationen und Anwälte lieferten Beweise, daß Ocak in Polizeihaft war. Mehrere Personen bezeugten, daß er von der Abteilung Terrorismusbekämpfung der Polizei verhört wurde. Die Mutter und Schwester protestierten vor der Istanbuler Präfektur. „Ihr habt Hasan Ocak lebendig bekommen, gebt ihn lebendig zurück.“

Hasan Ocaks Mutter verbrachte 15 Tage im Gefängnis in der Hauptstadt Ankara, wo sie hingefahren war, um die politisch Verantwortlichen mit Protestaktionen aufzurütteln. Durch massiven öffentlicen Druck wurde Ocak einer der Bekanntesten unter den Hunderten „Vermißten“ in der Türkei.

Doch während die Protestaktionen im Gang waren, war Ocak längst tot. Seine Leiche wurde am 26. März – fünf Tage nach seiner Festnahme – in einem Istanbuler Waldstück gefunden. Die Fotos des Toten und der Autopsiebericht weisen darauf hin, daß Ocak gefoltert wurde, bis er mit einem Strick erstickt wurde. Obwohl in der türkischen Presse Fotos von Ocak erschienen, der Staatsanwaltschaft die Vermißtenmeldung vorlag und die Fingerabdrücke von Ocak polizeilich registriert waren, wurde Ocak nicht identifiziert. 28 Tage wurde der Tote im Leichenschauhaus der Gerichtsmedizin aufgebahrt. Die Eltern, die mehrfach die Gerichtsmedizin aufsuchten, bekamen die Leiche nicht zu Gesicht. Erst am Dienstag konnten sie am Tatort aufgenommene Fotos sehen und ihren Sohn identifizieren.

„Wie kann man einen solchen Staat als Rechtsstaat bezeichnen?“ fragt Rechtsanwalt Ercan Kanar vom türkischen Menschenrechtsverein. Den „Exekutionen ohne Gerichtsurteil“ – so die übliche Bezeichnung für staatlich gedeckte Morde ist eine hinzugefügt worden. Ömer Erzeren