Ein semantisch entschärftes Übel

Wissenschaftler beurteilen bei Expertenanhörung des Bundestags den neuesten Entwurf der Bioethik-Konvention des Europarats kritisch / Genetische Daten für Arbeitgeber  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Das Papier ist schwammig formuliert, und die Fußnoten sind noch nicht veröffentlicht. Gestern stand die Bioethik-Konvention des Europarats auf der Tagesordnung von drei Bundestagsausschüssen. Zwar darf das deutsche Parlament an dem Vertrag selbst nichts ändern; aber die Abgeordneten können der Bundesregierung empfehlen, weiterzuverhandeln oder abzulehnen. Im Sommer soll der Ministerrat den Vertrag unterzeichnen.

Fast alle zwölf ExpertInnen, die gestern zur Stellungnahme geladen waren, hatten massive Kritik an der Konvention – auch wenn sie gemeinsam anerkannten, daß die im Februar von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gebilligte Fassung besser ist als der Ursprungsentwurf.

„Aber die Änderungen zeigen keine grundsätzliche Umkehr in den Intentionen, sondern sind der Versuch, die ursprünglichen Intentionen in eine neue Form zu gießen, die weniger öffentliche Angriffsfläche bietet“, urteilte Jobst Paul, den Bündnis 90/Die Grünen geladen hatten. Es gehe darum, Forschung und Menschenrechte auf eine Stufe zu stellen. „Wird die Würde des Menschen zu einem Wert unter anderen, geht ihre Wertorientierung verloren.“

„Um die Bioethik-Konvention einschätzen zu können, ist linguistischer Spürsinn angebracht“, sagte Ursel Fuchs von der Internationalen Initiative gegen die geplante Bioethik-Konvention. Zwar wurde der Passus gestrichen, der Experimente mit Behinderten oder verwirrten Alten bei „übergeordneten Interessen“ zuließ. Aber wenn ein unmittelbarer oder erheblicher Nutzen für den geschäftsunfähigen Patienten zu erwarten sei, wollen die Verfasser der Konvention medizinische Forschung erlauben. Auch andere Redner äußerten an dieser Stelle die Befürchtung, daß die nach massiven Protesten aus der Ursprungsfassung gestrichenen Passagen durch nachträglich angehängte Erläuterungen wieder Eingang in den Vertrag finden.

Der Artikel, der sich mit der Forschung an Embryonen beschäftigt, bleibt ebenfalls weit interpretierbar. Zwar untersagt die Konvention jetzt die Erzeugung von befruchteten Eizellen zum Zweck der Wissenschaft. Aber Embryonen, die natürlich oder im Reagenzglas mit dem Ziel einer künstlichen Befruchtung enstanden sind, sind damit kein Tabu.

„Artikel 17 stellt eine brisante Zeitbombe dar“, urteilte Klaus Dörner, Professor an der Westfälischen Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Neurologie in Gütersloh. Dabei geht es um die Frage, inwieweit genetische Daten von Menschen erhoben und an interessierte Kreise weitergegeben werden dürfen. Die Bioethik-Konvention will nicht nur Wissenschaftlern die Informationen zugänglich machen; Arbeitgeber und Versicherungen sollen nicht ausgeschlossen werden.

Schließlich kritisierten mehrere Experten, daß die Bioethik-Konvention acht Jahre lang unter Ausschluß der Öffentlichkeit entwickelt wurde und nur durch eine engagierte Bürgerinitiative im letzten Frühjahr öffentlich bekannt wurde. „Seither wehren sich Zigtausende von BürgerInnen gegen den Entwurf. [...] Sie wehren sich gegen die Inhalte der Konvention, ganz entscheidend aber gegen die undemokratische Weise des Zustandekommens“, erläuterte Ursel Fuchs den ParlamentarierInnen.