■ Immer seltener werden Ehrenämter aus rein karitativen Gründen angenommen, sagen Experten. Statt dessen stehen für viele, die sich engagieren, Weiterbildung, Karriere oder soziale Kontakte im Vordergrund..
: Ein Ehrenamt zahlt sich immer aus

Immer seltener werden Ehrenämter aus rein karitativen Gründen angenommen, sagen Experten. Statt dessen stehen für viele, die sich engagieren, Weiterbildung, Karriere oder soziale Kontakte im Vordergrund. Und die Jugend haßt Vereine.

Ein Ehrenamt zahlt sich immer aus

Leisten Sie freiwillige soziale Arbeit? Nein? Dann gehören sie zur egoistischen Mehrheit. 1,5 Millionen Ehrenamtliche zählt die Statistik der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAG) – das ist nicht mal jeder dreißigste erwachsene Bundesbürger. Nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums wenden wir wöchentlich zwar 28 Stunden für unbezahlte Arbeit auf. Aber nur eine Stunde davon verbringen wir durchschnittlich mit ehrenamtlicher Tätigkeit und sozialen Hilfsdiensten. Wie man mehr Freiwillige mobilisieren könnte, darüber beraten heute Experten auf einer Tagung des Paritätischen Bildungswerks Nordrhein-Westfalen in Wuppertal.

Zwar ist die Zahl der Ehrenamtlichen in den vergangenen Jahren nach offiziellen BAG-Statistiken gleich geblieben. „Es gibt aber Anzeichen, daß da ein Strukturwandel stattfindet“, sagt Hans Oliva von der Beratungsgesellschaft FOGS in Köln. „Die Nächstenhilfe wird mehr auch zur Selbsthilfe.“ Heinz Janning vom Verein Sozialer Friedensdienst in Bremen stimmt zu: „Wer auf die im Arbeitsleben üblichen Bedingungen von Arbeitsvertrag und Entlohnung verzichten will, muß sehr viele andere Äquivalente für potentielle MitarbeiterInnen aufbieten.“

Als Belohnung für die unbezahlte Arbeit reicht das heimliche Gefühl, ein besserer Mensch zu sein, nicht mehr aus – Weiterbildung, soziale Anerkennung, das Erlebnis einer menschlicheren Gegenwelt zum harten Job müssen hinzukommen. Jannings Vorbilder kommen aus dem Ausland: In der Schweiz boten große Banken und Versicherungsgesellschaften ihren MitarbeiterInnen an, im Rahmen des innerbetrieblichen Weiterbildungsurlaubs an verschiedenen Sozialprojekten mitzuwirken.

Manager und Banker besuchten Alte und Pflegebedürftige, kümmerten sich um Strafentlassene oder benachteiligte Jugendliche. In einem „Ausweis“ für ehrenamtliche Arbeit soll dieses Engagement eingetragen werden.

In den Niederlanden vermittelt das Freiwilligen-Hilfswerk NVC in großem Stil Ehrenamtliche, die hier via „Stellenangebots-Katalog“ zwischen Sterbebegleitung, Kinderbetreuung und Landschaftspflege wählen können. Immerhin ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung leistet hier unentgeltliche Arbeit, die bei durchschnittlicher Bezahlung umgerechnet etwa acht Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen würde. Das Image des freiwilligen Engagements ist überwiegend positiv.

Jannings Resümee der ausländischen Erfahrungen: Auch hierzulande müsse „eine neue gesellschaftliche Infrastruktur und -kultur“ entstehen, in der ehrenamtliche Arbeit einen höheren Stellenwert bekommt.

Anzeichen hierfür gibt es schon.

„Viele Interessierte wollen die ehrenamtliche soziale Tätigkeit als eine Art Praktikum nutzen“, berichtet Jörg Rogge vom Berliner „Treffpunkt Hilfsbereitschaft“, einer Vermittlungsagentur für Freiwillige in Berlin. Auch bei späteren Arbeitgebern macht sich der Hinweis auf ehrenamtliche Tätigkeit gut im Lebenslauf.

Viele Erwachsene möchten ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit stärker als früher einen professionellen Anstrich verleihen. Als neue Gruppe macht die BAG die Vorruheständler aus. Banker, Juristen, Manager, die, obwohl topfit, aus ihren Jobs verdrängt wurden, suchen neue Bestätigung im Ehrenamt. „Da spielt das Fachliche eine große Rolle. Viele wollen ihre beruflichen Erfahrungen weitergeben“, beobachtet Markus Joisten, Pressereferent der BAG. „Die erarbeiten Wirtschaftspläne für Selbsthilfegruppen oder beraten Schuldner.“

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede (und Klischees) bleiben dabei allerdings erhalten. Nach einer Studie des Paritätischen Landesverbandes Berlin sind Männer eher auf Vereins- Vorstandsposten erpicht, Frauen leisten die „One-to-one“-Beziehungsarbeit in der Altenhilfe.

Auch die Jugendlichen begeistern sich für ganz bestimmte Freiwilligen-Jobs. „Die machen kleine, spontane Sachen, etwa in Anti- Drogen-Cafés oder multikulturellen Einrichtungen“, erzählt Rogge. Vor Vereinsmeierei scheuten die Kids, besonders jene aus dem Osten, zurück. „Das Image ist wichtig. Es ist nicht cool, zu sagen: Ich bin bei der Caritas.“

Der „harte Kern“ der Ehrenamtlichen, das sind allerdings immer noch „vor allem Frauen, deren Kinder schon aus dem Haus sind“, erklärt Joisten. Nach der Berliner Studie nimmt die ehrenamtliche Tätigkeit ab dem Alter von fünfzig Jahren zu. Mehr Frauen als Männer leisten freiwillig unbezahlte Arbeit, im Durchschnitt vier bis fünf Stunden in der Woche inklusive Fahrzeiten.

Arbeitslose stellen übrigens keine neue Ressource dar: Erwerbslose, so zeigt die Erfahrung von einschlägigen Initiativen, haben weder Zeit noch Lust für dauerhafte ehrenamtliche Arbeit. Sie brauchen vor allem einen bezahlten Job. Und das freiwillige soziale Engagement, so betonen auch die Veranstalter der Tagung in Nordrhein-Westfalen, dürfe nicht als „Lösung sozialstaatlicher Probleme“ instrumentalisiert werden. Barbara Dribbusch