Kultur ist im Verein am schönsten

■ Die Kulturfabrik e.V. feiert ihren vierten Geburtstag, freut sich auf die Grundrenovierung ihres Moabiter Gebäudekomplexes – und auch wieder nicht

Wir befinden uns im Jahr 1991. Ganz Moabit ist eine kulturelle Brachlandschaft. Ganz Moabit? Nein! Ein von unbeugsamen MoabiterInnen besetztes Haus soll Farbe in das Viertel bringen, das sonst nur von Strafvollzugsanstalten, Abschiebeknästen und BeamtInnenwohnungen geprägt ist.

Die Kulturfabrik, ursprünglich ein Selbsthilfeprojekt von AnwohnerInnen und KünstlerInnen, hat sich in den letzten vier Jahren zu einem Konglomerat aus Kino, Theater, Café, Galerie und Musikclub gemausert. Ob Hardcore-Konzerte, Theater-Workshops oder Kinderkino, das Programm der Kulturfabrik ist bunt und straßenorientiert. Nun soll der Bau an der Lehrter Straße für etwa acht Millionen Mark von Grund auf saniert werden, sagt Andreas Walter von der Kulturfabrik e.V. Als im Mai 1991 erste Projekte in der ehemaligen preußischen Heeresfleischerei verwirklicht wurden – Musik aus Ghana und 16 Filme aus der DDR – befand sich das Gebäude nach 17 Jahren Leerstand in einem desolaten Zustand. In dem sechsstöckigen Bau regnete es bis in die zweite Etage, Strom- und Wasserleitungen mußten verlegt und sanitäre Anlagen installiert werden. Kurz: rund 300.000 Mark Eigenkapital und eine Menge Arbeit mußten investiert werden.

Mittlerweile haben sich in der Kulturfabrik acht autark arbeitende Gruppen mit regelmäßigen Veranstaltungen etabliert. Filmrausch e.V., das einzige Kino in Moabit, integriert sowohl Mainstream als auch cineastische Leckerbissen des No-budget-Genres in sein Programm und versucht einen Balanceakt zwischen Janoschs „Traumstunde“ und Filmen wie dem Schwulenmelodram „Un chant d'amour“. Die Anschaffung zweier 35-Millimeter-Vorführgeräte ermöglichte kürzlich den Ausbruch aus dem Schmalspurgetto.

An weißen Kacheln und verrosteten Rohren entlang, durch ein feuchtes Labyrinth von Gängen, gelangt man in die Kellerdisco Slaughterhouse, die voll morbider Poesie steckt. Wer gerne in sauerstoffarmen und überfüllten Katakomben zu den Klängen von Grunge und Crossover ein wenig Endzeitstimmung erleben möchte, kann alle zwei Wochen zu einer „Satisfactory-Party“ gehen. Außerdem gibt's Konzerte der Noise Core Cooperation, meist pluggedcore und die monatliche „No Schrott Party“. Im Laufe der Zeit entstand im Keller der Kulturfabrik ein Tonstudio, von dem vor allem noch unbekannte Bands profitieren.

Die Räume von der Theaterdock e.V. stehen dem Theaternachwuchs zu erschwinglichen Preisen für Proben und Aufführungen zur Verfügung. Rudimente des früheren Schlachthofbetriebes machen den großen Saal von Theaterdock zu einer markanten Aufführungsstätte.

Angeblich soll es bald Senatsgeld geben

Konzept der Kulturfabrik ist es, auch Möglichkeiten zu schaffen, selber aktiv zu werden. Dafür stehen Ateliers, Übungsräume und die Hauswerkstatt zur Verfügung. Gut hundert Menschen arbeiten gegenwärtig in und an der Kulturfabrik. Ende letzten Jahres sind neun ABM-Stellen bewilligt worden, eine Teilanerkennung sozusagen.

Ansonsten ist die Unterstützung durch die öffentliche Hand eher spärlich. „Bloß 24.000 Mark sind vom Bezirk für Projekte der Kulturfabrik in diesem Jahr vorgesehen“, sagt Walter. Die Stadt hat sich an dem Unternehmen Kulturfabrik überhaupt nicht beteiligt. Das soll nun anders werden. Walter: „Angeblich liegen bei der Stadt die Mittel für die geplante Sanierung schon bereit.“

Das von der Kulturfabrik vorgelegte Sanierungskonzept wird im Augenblick vom Sozialpädagogischen Institut (SPI), das das Haus treuhänderisch verwaltet, und der Stadt geprüft. Darin ist vorgesehen, daß der frühindustrielle Charakter des Hauses erhalten bleibt. Wichtig ist den BetreiberInnen der Kulturfabrik, daß der Umbau schrittweise erfolgt. „Wenn wir für ein Jahr oder länger dichtmachen, sind die Leute weg“, so die Befürchtung von Walter.

Noch ist unklar, wie es nach der Sanierung weitergehen soll. Sicher wird es mit der Wirtschaftlichkeit der einzelnen Vereine zusammenhängen, wieviel Raum ihnen im „neuen Haus“ zur Verfügung stehen wird. Denn mietfrei wie bisher wird es nicht mehr sein. Viele sehen die sich anbahnende Kommerzialisierung mit gemischten Gefühlen. Hofft die Gruppe, die das Tonstudio betreut, auf eine Vergrößerung, ist es fraglich, ob sich die Ateliers mit Zeichenkursen über Wasser halten werden können.

Wie auch immer, die Kulturfabrik feiert morgen Geburtstag mit einer großen Party auf allen Etagen – Kino drinnen und unter freiem Himmel, Bands und Tanz. Auf daß privates Engagement und ein unkommerzielles Programm auch die nächsten Geburtstage der Kulturfabrik dominieren! Sascha Thomas Meinert

Morgen, 20 Uhr, Kulturfabrik, Lehrter Straße 35, Moabit