Vom Angstfall zum Denkmalschutz

■ Berlin hat ein neues Denkmalschutzgesetz / Die Regelung erfaßt rund 10.000 Gebäude / Die Rolle der Bezirke wird gestärkt / Gesetz ist Papiertiger bei "bedeutenden" Großplanungen: Lehrter Stadtbahnhof fällt

Auf der „Baustelle Berlin“ stehen die Denkmäler in Zukunft sicherer. Abrisse von Altbauten oder Veränderungen an den Fassaden gehen nicht mehr so leicht über die Bühne wie bisher. Die bis dato langwierigen Genehmigungsverfahren dagegen sollen beschleunigt werden.

Mit der Novellierung des Denkmalschutzgesetzes „stellt Berlin in einer Situation des Umbruchs seine Landschafts-, Bau- und Bodendenkmale auf eine sichere Basis“, so sagte Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer gestern. Auch quantitativ habe mittlerweile eine Kehrtwende in der Unterschutzstellungspraxis stattgefunden.

Statt der 2.000 registrierten Denkmäler im Ost- und Westteil der Stadt seien nun weit über 10.000 Gebäude in die Denkmalliste aufgenommen worden. Allein im Bezirk Tiergarten wurden ganze Straßenzüge um den Hansaplatz in die Liste aufgenommen. Andere Stadtteile wurden ebenfalls neu dokumentiert und Einzeldenkmale ausgewählt – darunter das Haus des Rundfunks in der Köpenicker Nalepastraße oder der einstige Staatsrat in Mitte.

Unscheinbare Wohnbauten aus der Jahrhundertwende wie die Schöneberger Anlage von Mebes wurden neu eingetragen, bedeutende Bauwerke wie der Rias, die Gedächtniskirche oder die Krankenhäuser in Buch ebenfalls.

Aus dem „Angstfall Denkmal“ (Hassemer), der jederzeit dem Primat der Veränderung ausgesetzt war und um Schutz betteln mußte, ist in der Tat nun ein „Schmuckfall“ mit eigener Rechtsposition und Bedeutung geworden.

Das neue Denkmalschutzgesetz ersetzt das „konstitutive“ Verfahren, bei dem denkmalwerte Bauten oder Parks nach einem Erörterungsprozeß zu Denkmälern bestimmt wurden. Nun soll ein „nachrichtliches Listenverfahren“ die Denkmaleintragung regeln, das zudem öffentlich und jedermann zugänglich ist.

Nach dem Vorbild der östlichen Bezirke werden in ganz Berlin sogenannte Untere Denkmalschutzbehörden auf der Bezirksebene eingerichtet. Es sei nun „die originäre Aufgabe der Bezirke“, Bauten unter Denkmalschutz zu stellen und diese zu bewahren, sagte Hassemer. Die Bezirke verfügen in Zukunft über eigene „Bezirksdenkmalpfleger“, die vor Ort über den Umgang mit historischer Bausubstanz entscheiden sollen.

Die bislang in zwei verschiedenen Senatsverwaltungen angesiedelten Denkmalressorts – die Bau- und Gartendenkmalpflege bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und die Bodendenkmalpflege bei der Kulturverwaltung – werden nun in einer Oberen Denkmalbehörde im Haus Hassemer angesiedelt, die die bezirksübergreifenden Denkmalinteressen der Stadt kontrolliert. Ihr gehört das Amt des Landeskonservators an. Außerdem soll ein Landesdenkmalrat aus Architekten, Historikern und „sachberührten Bürgern“ den Senator in Denkmalfragen beraten. Schließlich wird nach dem Senatsbeschluß auch das Archäologische Landesamt in die zentrale Obere Behörde überführt.

Nach Ansicht von Senator Hassemer stärkt das neue Gesetz die Denkmalpflege und verhindert Eingriffe in noch vorhandene Bausubstanz. Der Senator erinnerte daran, daß Berlin durch den Zweiten Weltkrieg, die Teilung der Stadt und die Flächensanierungen in den sechziger und siebziger Jahren den Großteil seiner denkmalwerten Substanz verloren hat. Schon aus diesem Anlaß, aber auch aus Gründen der derzeit umwälzenden Stadtplanung, benötige die Denkmalpflege „Handlungsspielraum, die sie in der Hauptstadt dringend braucht“. Andererseits garantiere eine offene und wirksame Liste auch Planungssicherheit für die neuen Bauvorhaben.

Die Aufnahme von rund 7.000 „Positionen“ (Ensembles, Häusergruppen, ganze Viertel wie beispielsweise das Hansaviertel) in die Liste, sagte gestern Landeskonservator Jörg Haspel, sei durch die Auswertung der Denkmalliteratur, aber besonders durch die „Auswertung der heutigen Stadt“ zustande gekommen.

Eine Versicherung gegen Abriß stellt das Denkmalschutzgesetz aber nicht dar. Hassemer: „Wenn eine Gesellschaft es will, kann sie natürlich ihre Denkmäler wieder abreißen“. Auch das neue Gesetz könne dies nicht verhindern.

Beim bestehenden Lehrter Stadtbahnhof erweist sich das neue Gesetz gar als Papiertiger. Nach den Plänen der Bauverwaltung sowie der Deutschen Bahn AG soll der unter Schutz stehende Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert zugunsten den neuen Zentralbahnhofs abgerissen werden. Trotz der Vorbehalte der Anwohner und Kritiker des Eisenbahnmonstrums läßt die Bahn keine Zweifel aufkommen, daß sie sich vor Ort durchzusetzen wird.

Da klingen die Worte von Landeskonservator Haspel recht hohl, wenn er meint, daß die authentischen Zeugnisse den künftigen Generationen nicht verlorengehend dürften. Rolf Lautenschläger